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Stigmatisiert

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Gertrud Fussenegger lacht noch heute, wenn sie sich daran erinnert, wie im Jahr 1945 aiLS Hakenkreuzfahnen rot-weiß-rote Flaggen gemacht wurden: Man trennte den weißen Spiegel mit dem schwarzen Hakenkreuz ab, zerschnitt das rote Viereck und nähte eine weiße Bahn zunschen die roten Streifen.

„Ja, das war symbolisch“ , sagte die Schriftstellerin, die am 8. Mai ihren 75. Geburtstag feiert (siehe auch Seite 12).

Sie ist eine Außenseiterin im Literaturbetrieb. Ein ein-’ ziges Buch von ihr erschien im Residenz Verlag, die Es-^ say-Sammlung ,jyer große Obelisk“ .

,Jch wäre gerne im Resi-^ denz Verlag geblieben“ , sag-^ te die Autorin, „aber ich hatte den Eindruck, einige junge Schriftsteller machten gegen mich Stimmung.“

Auch das ist Osterreich: Nach dem Krieg hatten junge Autoren, vor allem wenn sie sich mit experimenteller Li« teratur beschäftigten, praktisch keine Chance, in einenp: österreichischen Verlag unterzukommen — andererseits gibt es Ressentiments gegen Schriftsteller, die als konservativ abgestempelt sind,

Gertrud Fussenegger gem hört dazu. Und auch manche Texte, die sie in der Hitler-Zeit als junge Autorin geschrieben hat, werden ihr noch immer vorgeworfen.

Im Kritischen Lexikon zur deutschen Gegenwartsliteratur, wird ihr deshalb bescheinigt, sie sei „eine begeisterte Heimkehrerin ins Dritte Reich“ gewesen.

Sie fragt sich heute, warum, Verbrechern, die ihre Schuld abgebüßt haben, niemand mehr ihre Verbrechen vorwerfen darf, während jugendliche literarische Verfehlungen, deren man sich längst schämt, noch immer unbarmherzig geahndet werden.

Für Gertrud Fussenegger war es ein Ereignis, als sie zum ersten Mal bei einer demokratischen Wahl mitwählen durfte. Damals war sie fast 40 Jahre alt.

Die Wahl als Ereignis. In dem Sammelband „Vom, Reich zu Osterreich“ bemerkt Gertrud Fussenegger dazu: „Vielleicht fühle ich mich deshalb immer irritiert, wenn ich höre, daß die Demokratie überlebt und in ihrer derzeitigen Form schon obsolet geworden seL Schon wieder! denke ich. Schon wieder? — Warum schon toie^ der?“

In ihrer Autobiographie „Ein Spiegelbild mit Feuersäule“ schreibt sie über Phänomene der nationalsozialistischen Ära unter anderem: , J)as Kuschen war schuld, an vielem, an allem war das Kuschen schuld. Das Kuschen der Fachleute.“

Gilt das nicht auch für vie* le Tendenzen in unserer Demokratie? Obwohl das Nicht-Ku^chen in ihr bedeutend ungefährlicher ist?

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