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Besuch bei Dostojewskij

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Zum Nachdenken veranlaßt auch die Stille, die an den Gedenkstätten der Großen der russischen Literatur herrscht.

Neben dem Institut zur Erforschung der Tuberkulose, dem früheren Armenkrankenhaus, einem schönen Denkmal des russischen Empirestils, befindet sich das Haus, in dem der Stabsarzt Michail Andreewitsch Dostojewskij gearbeitet hatte und in welchem 1821 sein Sohn Fedor Dostojewskij geboren wurde. In diesem Haus lebte Dostojewskij bis zu seinem siebzehnten Lebensjahr. Wir wissen ja so wenig von seiner Jugend I Nicht einmal ein Jugendbild ist erhalten geblieben. Wer kümmerte sich schon um die Kinder eines unbekannten Armenarztes!?

Hätte Aljoscha Karamasow, wohl die schönste Gestalt unter den Romanhelden Dostojewskijs, eine Zwillingsschwester gehabt, so müßte sie das Mädchen sein, welches uns durch die Wohnung des Dichters führt: kerngesund, rotbackig, dabei Bescheidenheit und Zuvorkommenheit ausstrahlend. Ich habe nie einen so vollendeten Dostojewskij-Kommentar gehört wie aus dem Munde dieses Sowjetmädchens.

Im Vorzimmer, hinter einer Bretterwand, war sein Kinderbettchen gestanden. Im Salon, nach russischer Sitte auch Saal genannt, befand sich eine zweite Bretterwand, hinter ihr schliefen die Eltern. Arm war die Familie Dostojewskij. Auch der Blick aus den Fenstern führt in die Armut, auf die Vorortstraße, in das Armenkrankenhaus. In der Nähe befand sich die Butyrka, das berüchtigte Gefängnis von Moskau mit seinen unzähligen, von jedermann einfach „arme Menschen” genannten Sträflingen. Armut ist häßlich. Um diese Tatsache zu bekräftigen, haben die Sowjets in der Stalin-Zeit das häßlichste Haus von ganz Moskau in der Dostojewskij- Gegend erbaut: das Theater der Roten Armee.

Warum man sich im Westen so sehr für Dostojewskij interessiere, fragte mich ein russischer Student. „Weil er das Beste ist, was die russische Literatur der Menschheit je geschenkt hatte”, antwortete ich und fragte: „Haben Sie Dostojewskij gelesen?” Er

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