Reise in der Wirklichkeit und im Kopf

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Premiere von „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ in Wien: Aus der Romanadaption will einfach kein packendes Stück werden.

In Ilija Trojanows Roman „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ wird das Spielen selbst zum durchgängigen Motiv – ein Motiv, das in der Dramatisierung von Jette Steckel und Susanne Meister ins Zentrum rückt. Hütchenspiel, Backgammon und Theaterspielen, das sind schließlich jene Glücksspiele, für die man jede Menge Phantasie, Kreativität und vor allem den Zufall braucht. – So denkt auch Alexandar, Sohn des Migrantenpaares Jana und Vasko, der schwer an Oblomowitis leidet, also vorm Fernseher döst und die Welt nur träumend und nicht handelnd erfährt.

Im Jahr 1996 hat Autor Trojanow, dessen eigene Wege von Bulgarien über Nairobi und Paris nach München führten, seinen ersten Roman vorgelegt, der die Flucht einer Kleinfamilie aus Bulgarien als Reise in der Wirklichkeit und im Kopf erzählt, die auf Zufällen, Glück, echter Not und notwendiger List basiert.

Gefragte Romanvorlage

Balkan-Exotik, Ost-Charme und echtes Interesse am Schicksal der Flüchtlinge haben eine Reihe an Bearbeitungen des erfolgreichen Romans als Resultat nach sich gezogen. Immerhin wurde letztes Jahr der gleichnamige Film von Stephan Komandarev vorgelegt, und im Sommer ging die Uraufführung in der Regie von Jette Steckel selbst bei den Salzburger Festspielen über die Bühne.

So fragmentarisch, wie Trojanow seine Geschichte der Emigration beschreibt, sieht auch Steckels/Meisters Adaption aus: nur dass am Theater durcheinandergeratene Fäden zumeist ins Nichts führen.

Energie will sich nicht entwickeln

Dieses vage Anklingenlassen verwirrt auch in Daniela Kranz’ Inszenierung am Schauspielhaus, welche erst im letzten Drittel zu einem Rhythmus findet, obwohl Kranz ihre Umsetzung viel versprechend starten lässt: In der lähmenden Siesta-Atmosphäre weiß man nicht genau: befindet man sich in der kubanischen Karibik oder am bulgarischen Schwarzen Meer? Egal, Hauptsache die Zuckerversorgung ist garantiert, ein nicht unwesentlicher Faktor in der Planwirtschaft.

Christian Dolezal, der Vater Vasko spielt, zupft bedächtig an den Saiten seiner Gitarre und Bettina Kerl stolziert als aparte Balkan-Schönheit mit langem dunklem Haar durch den Raum. Max Mayer sitzt als Sohn Alexandar im Polyester-Trainingsanzug mit dem Rücken zum Publikum. Dazwischen umringen bunte Perlschnur-Vorhänge den Raum.

Kranz verspricht die Spannung eines Kusturica-Films, wenn dessen opulent-skurrile Balkan-Western bereit zum Losbrechen in den Startlöchern stehen. Und auch bei der Figur von Alexandars Taufpaten, Bai Dan (Steffen Höld), tauchen unvermeidlich Kusturica-Assoziationen auf. Doch leider hält die Inszenierung diese Dynamik nicht, und das liegt am Stück. Die erhoffte Energie will sich einfach nicht entwickeln, wohl auch weil die Personen über sich als Dritte sprechen, Situationen beschreiben, im Sprechen zu einem Ich wechseln und wieder zurück ins Narrative. Aus Steckels/Meisters Romanadaption will einfach kein packendes Stück werden.

Unzureichende Dramatisierung

Und auch das ansonsten hervorragende Schauspielhaus-Ensemble wirkt seltsam verhalten und distanziert. Kerl zupft als Jana an ihren schwarzen Locken, Mayer schlurft wie ein alter Mann in Pantoffeln ins Stockbett des Auffanglagers und Dolezal, der immer dann reüssiert, wenn er komödiantisch eingesetzt wird, bleibt als Vasko seltsam indifferent. Erst am Ende kommt er in Form, wenn er als vertrottelter Provinzpolizist selbst die einfachste Ebene des Hütchenspiels nicht durchschaut.

Da gewinnt dann auch die Inszenierung an Leben, wenn die Eltern längst tot sind und Bai Dans Phantasiereise mit Alexandar ihren Lauf nimmt: Auf einem fulminanten Drahtesel reisen die beiden ins mondäne Monte Carlo, wo sie selbstverständlich das große Geld machen, während Kerl als Groupier überzeugend „Money, money, money“ singt. Auch Paris ist ein unbedingtes Ziel einer Kopfreise, die noch aus jener Zeit stammt, als Bai Dan politischer Gefangener in Bulgarien war und Geschichten über die angeblich schönste Stadt der Welt hörte. Damit wird der Trocadéro auf der Bühne des Schauspielhauses lebendig und Kerl und Dolezal singen (als Engerl) eine romantische Stimmung herbei.

Nun endlich ist Alexandar auf dem richtigen Umweg zum Glück, was man als Zuseher nicht unbedingt behaupten kann. Denn es irritiert einfach immer wieder und immer mehr, unzureichend dramatisierte Romane unter den schützenden Mantel des Theaters gepackt zu sehen.

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