Stammtisch der Geistreichen

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Ist die heutige Musik geistlos? Darum drehte sich jüngst ein Ö1-Gespräch zwischen Moderator Otto Brusatti und seinem Gast Manfred Wagner. Die Herren plädierten für ein Ja. Bei der Definition dessen, was unter "heutiger Musik" zu verstehen sei, gab man sich keine besondere Mühe. Die Nachfolger der Neuen Wiener Schule waren damit wohl nicht gemeint, denn der Kulturhistoriker Wagner ist auch Präsident der Internationalen Schönberg-Gesellschaft. So blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Art zeitgenössischer Musik als geistreich gelten zu lassen, sofern sie, wie er meinte, aus dem Status des Experiments auch wieder herausfinde.

Das geistlose Pendant muss demnach die Pop-Musik sein. Welche Pop-Musik? Die auf Ö3 dahindudelnde? Bob Dylan? Die Beatles? Die Doors? Björk? Lou Reed? Alles eins? Der Schubert-Spezialist Brusatti hat einmal über John Lennon und seine Fans eine höhnische Bemerkung gemacht, mit der er sie implizit auf das Niveau der Musikantenstadlschunkler verwies. Zur Ehre von Ö1 sei gesagt, dass die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Stufe offensiver Verständnislosigkeit schon weit unter sich gelassen haben. Natürlich sei es jedem unbenommen, seinen Horizont mit dem der klassischen oder "ernsten" Musik zu beschränken. John Lennon muss nicht jedem gefallen. Aber muss jeder über die "heutige Musik" reden dürfen, auch wenn er herzlich wenig darüber weiß? Und warum ist keinem der beiden plaudernden Musikkenner zur Frage nach dem musikalischen Geist das Stichwort "Jazz" eingefallen? Die wirklich zeitgenössische Musik ist wohl der Jazz, mit einer Bandbreite von populär bis höchst sophisticated. Im orf fristet er heute ein Nischendasein. Wieso gründet eigentlich niemand einen reinen Jazzsender, wie es ihn in den ach so kommerziell verderbten usa längst gibt?

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin.

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