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„Der Grüne Wagen' in Wien

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Ein Theaterabend mit Elisabeth Bergner ist einer jener seltenen Glücksfälle, nach dem eine Theaterkritik nicht mit der Kritik des gesehenen Stückes zu beginnen hat. Denn ehe man über das Stück etwas sagen kann, muß man über die Aufführung berichten. Man muß zuerst sagen, wie einen das, was man gesehen hat, beeindruckt hat, und warum, ehe man sagen kann, was es eigentlich war. Elisabeth Bergner und Rudolf Forster: das ist noch ein anderer Theaterstil, als wi» ihn heute gewohnt sind. Hier wird noch gespielt.

Gebärde, Wort, Ausdruck sind mehr dem Theater an sich als dem einzelnen Stück verpflichtet. Dabei ist es durchaus nicht gleichgültig, was gespielt wird. Es muß ein Stück sein, daß sich mit Gehalt erfüllen läßt. Und doch wirkt dieses Stück nur als Vorwand, wieder Theater spielen zu können. Doch mehr: das Theater selbst wird für die Darsteller zum Vorwand, Mensch sein zu können. Von den Schauspielern des „Grünen Wagens", des Hamburger reisenden Theaters, von Elisabeth Bergner und Rudolf Forster, Ernst Deutsch und Wolfgang Lukschy, geht das Fluidum aus, das starke Persönlichkeiten umgibt und die Atmosphäre um sie so menschlich macht. Wir spüren: hier ist ein Mensch, der leidet. Hier geht auf der Bühne etwas vor, was uns alle betrifft. Das Theater ist zu sich selbst zurückgekehrt.

Und zugleich mit der Freude an einer solchen Aufführung, die sozusagen über das Stück hinausgeht, öffnet sich uns die Erkenntnis, daß das Schauspiel „Tiefe, blaue See" von Terence Rattigan ein ausgezeichnetes und ein sehr menschliches Schauspiel ist. Wir haben es bei uns, ehe es nun in die Josefstadt gekommen ist, schon unter dem gänzlich unzutreffenden Titel: „Lockende Tiefe" gesehen. Der Titel des Stückes erklärt sich aus dem angelsächsischen Sprichwort: Wenn man zwischen dem Teufel und der Tiefe des blauen Meeres zu wählen hat, ist es da nicht besser, die tiefe, blaue See zu wählen? Auch wenn die Wahl den Absturz in den Tod bedeutet? Hester Collyer, eine tief empfindende, unglückliche Frau, will diesen Weg gehen. Bis sie erkennt, daß sie sich selbst und ihrer Wahl treu bleiben kann, auch wenn die tiefe, blaue See nicht mehr der Tod ist, sondern ein Leben, das täglich neu gewagt werden muß. Daß wir ihr dies glauben, danken wir Elisabeth Bergner und ihren Kollegen vom „Grünen Wagen”, nicht zuletzt auch Regisseur Leo Mittler. Ihnen allen schulden wir Dank für diese Begegnung.

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