Von der Auslöschung der Zeit

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In dem als Auftragswerk des Wiener Schauspielhauses entstandenen Kammerspiel "Luft aus Stein“, das die 1981 in Heilbronn geborene Autorin und Regisseurin Anne Habermehl vergangenen Samstag gleich selber zur Uraufführung brachte, werden drei Generationen in flüchtigen Momentaufnahmen zusammengeführt.

Zentrum des Stücks bildet ein in einer Liebesbeziehung lebendes Geschwisterpaar. Paula, Jahrgang 1979 (herausragend gespielt von Franziska Hackl), hat durch einen von ihrem latent suizidgefährdeten Bruder Anton (Gideon Maoz) mutwillig verursachten Autounfall die Sprache verloren. Seitdem passt das Leben nicht mehr in ihren Kopf, weshalb sie es unentwegt auf Fotografien festhält.

Um diese Ausgangssituation herum versucht die Autorin nun so etwas wie eine Zeitdiagnose. Sie sucht nach den Ursachen von Traumatisierungen, die sie in der Vergangenheit oder, anders gesagt, in der Geschichte verortet. Puzzleartig reiht sie kurze Skizzen aus sieben Jahrzehnten von 1943 bis 2013 aneinander.

Es beginnt mit einem programmatischen Monolog von Paulas Arzt. Max Meyer sinniert in weißem Kittel über die psychischen Leitkrankheiten unserer globalisierten Gegenwart, der er eine große Generaldepression diagnostiziert, deren Symptome er nihilistisch als das Aufbegehren nach Einzigartigkeit, Geborgenheit und Orientierung deutet. Er lamentiert über fehlende Utopien, über die Panik vor der Einsamkeit, über die Welt, die in unzusammenhängende Einzelteile zerfallen sei, sowie über die kollektive Leerstelle, den mangelnden Sinn im Leben.

Große Gedanken, assoziativ

Dann springt das Stück zurück in das Jahr 1943, wie die rot leuchtenden Ziffern auf einer LED-Anzeige versichern. Es ist das Jahr, in dem die Großeltern von Paula und Anton sich kennenlernten. Noch vor der Geburt der Tochter Hanna muss der Großvater an die Front, von der er traumatisiert zurückkommt - er findet künftig kein privates Glück mehr. Hannas jüngerer Bruder kommt kurz vor dem Ende des Krieges bei einem Bombenangriff ums Leben. Die verzweifelte Mutter (großartig Katja Jung) wird nie darüber sprechen können. Zwanzig Jahre später bricht Hanna mit ihrer Mutter und hat seitdem nie mehr ein Wort mit ihr gewechselt. Das Verhältnis zu Paula wird für immer darunter leiden. Anne Habermehl deutet hier an, dass Traumatisierungen von Generation zu Generation fortleben, weil es keine Sprache gibt, sie zu benennen. So bleiben die Fragen stets dieselben, die Antworten werden austauschbar.

"Luft aus Stein“ wälzt große Gedanken und reiht mehr assoziativ als argumentierend Fragmente für Erklärungen aneinander. Durch klug gewählte Auslassungen überlässt die Autorin es dem Zuschauer, darin ein sinnhaftes Ganzes zu finden.

Weitere Termine

26., 30., 31. Jänner, 5., 6., 23. Februar

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