"Wäre Russland ein legaler Staat …"

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TatJana Lysenko, eine lokale Aktivistin des Environmental Watch on the North Caucasus, legte im schriftlichen Austausch mit der Furche ihre Bedenken gegenüber den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi dar.

Die Furche: Die Region Sotschi ist hierzulande vor allem für den Sommertourismus ein Begriff. Will man mit den Olympischen Winterspielen etwas Unmögliches möglich machen?

Tatjana Lysenko: In Sotschi selbst wären diese Spiele nicht durchführbar, aber im nahen Nationalpark mit seinen Bergspitzen, die 1500 bis 3360 Meter über dem Meeresspiegel liegen, ist dies möglich. Dennoch gibt es auch im Skigebiet Krasnaja Poljana, wo die Schneewettbewerbe stattfinden, sehr warme Winter.

Die Furche: Dennoch muss es Sotschi sein …

Lysenko: Die Sache ist die, dass die Region vor allem für die russische Elite ein bevorzugtes Urlaubsziel ist. Das warme Meer, die Nähe der Berge und die fast unberührte Natur ziehen die Menschen an. Das ist auch der Grund warum die höheren Regierungsmitglieder die Region touristisch ausbauen wollen. Um den touristischen Ausbau voranzutreiben, hat man sich das olympische Mäntelchen übergeworfen. Das Prestige, der Lebensstandard der dort ansässigen Bevölkerung und viele Argumente mehr sind bedeutungslose Worthülsen. Das Gebiet um Sotschi inklusive des UNESCO Weltnaturerbes Westkaukasus wurden zum Spielball von Wirtschafts- und Politgrößen.

Die Furche: Wurde die Gesetzeslage für Sotschi 2014 adaptiert?

Lysenko: In den vergangenen Jahren wurde das russische Gesetz geändert, um groß angelegte Konstruktionen auf den Gebieten von Nationalparks durchführen zu können. Drei Regierungsdekrete wurden geändert, um Sport- und Tourismus-Infrastruktur im Sotschi Nationalpark zu ermöglichen. Dennoch verbieten das Gesetz für speziell geschützte Gebiete (Artikel 15) und der Land-Code (Artikel 95) nach wie vor den Bau von Sport-Infrastruktur und das Abhalten von Massensportveranstaltungen, sowie generell alle Maßnahmen, die nicht ausschließlich dem Schutz der Natur dienen. Wäre Russland ein legaler Staat, dürften Winterspiele im Sotschi Nationalpark und auf dem Gebiet des UNESCO Weltnaturerbes nicht einmal in Erwägung gezogen werden.

Die Furche: Müssen für die Spiele Menschen umgesiedelt werden?

Lysenko: Ein neues "Olympic Law Project" steht kurz vor der Abstimmung, und es wird mit Sicherheit befürwortet. Dieses Gesetz sieht die Umsiedelung von lokaler Bevölkerung vor. Diese Menschen, die seit Generationen dort leben, stehen dem Interesse der Investoren im Weg, die verschiedene Bauten realisieren wollen, die nicht einmal etwas mit den Olympischen Spielen zu tun haben. Es ist bekannt, dass einige Anrainer des Imeretinskaja-Sumpflandes bereits einen Bescheid für den Abriss ihres Hauses bekommen haben, ohne dass ihnen eine Ersatzunterkunft garantiert wurde. Eine davon ist Lamsira Borisowna Djgarkawa, die bereits den Gerichtshof in dieser Angelegenheit angerufen hat.

Die Furche: Gibt es Pläne für die nachhaltige Nutzung der Olympia-Infrastruktur nach den Spielen?

Lysenko: Formell existieren solche Pläne. Aber wenn man realistisch ist und in Betracht zieht, dass Sotschi (rund 500.000 Einwohner; Anm.) klein ist, wird die meiste Infrastruktur ungenutzt bleiben.

Die Furche: Und das Zugpferd Tourismus …

Lysenko: Will man den Massenmedien in Russland Glauben schenken, haben 50 Prozent der Russen noch nie das Schwarze Meer gesehen, weil ihre Einkünfte ihnen den Luxus zu reisen nicht erlauben. Obwohl die Massenmedien verlauten, dass der Lebensstandard der Menschen rapide steigt, ist dem noch lange nicht so. Es stimmt aber, dass bei den Einkünften eine gewisse Stabilität eingetreten ist, die die Menschen zufrieden stimmt.

Die Furche: Was sagt die Bevölkerung zu Sotschi 2014?

Lysenko: Auf Grund der korrupten zentralen Massenmedien weiß eine große Mehrheit der Russen nicht, dass das Kaukasus Biosphärereservat und der Sotschi Nationalpark für ein kurzes Sport-Event geopfert werden.

Die Furche: Was soll unternommen werden, um die negativen Auswirkungen der Spiele auf die Natur zu minimieren?

Lysenko: Eigentlich müssen die Olympischen Spiele gänzlich an einem anderen Ort stattfinden. Nachdem das aber mehr als unwahrscheinlich ist, müssen zumindest die Bauten aus der Pufferzone des UNESCO Weltnaturerbes entfernt werden wie: die Rodel- und Bobbahn, das olympische Dorf in den Bergen, der Biathlon-Komplex, der Snowboard-Park und die dafür notwendige zusätzliche Infrastruktur. Und auch die Straße ins Laura-Fluss-Tal zum Schigebiet Psechako Kamm darf nicht gebaut werden.

Die Fragen stellte per E-Mail Thomas Meickl.

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