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Noch 1947 waren viele jüdische Flüchtlinge auf der Suche nach einer neuen Heimat. 60 Jahre später wurde des Schicksals einiger von ihnen gedacht.

Vor 60 Jahren haben 5000 jüdische "displaced persons" den Krimmler Tauern Richtung Südtirol überquert. Männer, Frauen und Kinder. In Gruppen von 100 bis 250, jede zweite oder dritte Nacht. Ihr Ziel: Palästina. "Wieso," wird immer wieder gefragt, "bei uns war doch Friede?"

Ich habe vor vier Jahren anlässlich einer Bergtour auf die Dreiherrenspitze erstmals davon erfahren. Heute weiß ich, dass 350.000 Juden in Zentral- und Osteuropa die Schreckensherrschaft des Dritten Reichs zwar überlebten, aber nirgendwo willkommen waren. Der Antisemitismus blieb so stark ausgeprägt, dass es zu grauenhaften Pogromen kam, im Besonderen 1946 in Kielce in Polen.

Für 200.000 dieser Flüchtlinge wurde Salzburg zur Drehscheibe ihres Exodus. Sie wurden durch Auffanglager geschleust, die meisten blieben nur einen Monat. 3500 fanden Zuflucht in Saalfelden im Lager Givat Avoda. Aber niemand wollte sie: die britische Regierung hatte die Küste Palästinas mit Kriegsschiffen abgeriegelt und Italien machte die Grenze zu Österreich dicht. Österreich wollte "die Juden" so schnell wie möglich loswerden, aber die alliierten Besatzungsmächte haben erst ab 1948 ihre menschenverachtende Einstellung revidiert. Die jüdischen Flüchtlinge waren ein Spielball der Mächte, blieben es noch lange, selbst in Israel.

Wunsch nach Freiheit

Trotz dieser Hindernisse war jeder einzelne von ihnen beseelt, die Freiheit zu erlangen, eine neue Heimat, koste es, was es wolle. Rosemarie Knopf, 1947 eine junge Krankenschwester im Lager Givat Avoda, erzählt: "Für alle Patienten gab es nur ein Thema, und das war nicht die Aufarbeitung ihrer schrecklichen Erlebnisse. Sondern einzig und allein: Wohin kann ich auswandern? Welches Land nimmt mich auf?"

Am 13. November 1946 versuchte eine Gruppe von 84 jüdischen Flüchtlingen, über den Brenner nach Italien zu gelangen. Doch die Carabinieri, auf die sie trafen, sperrten sie zuerst ein, und trieben sie dann in Handschellen über die Grenze zurück.

Die Fluchtroute über den Brenner musste also aufgegeben werden. So kam es zur anstrengenden 15-stündigen Routenführung über die Tauern bei Krimml.

60 Jahre später

Mein Gedanke war es, diesen Weg des Mühsals Schritt für Schritt nachzugehen, wie er vor 60 Jahren unter ganz anderen Voraussetzungen von diesen verzweifelten Menschen gegangen wurde. Für uns standen die einzelnen Flüchtlinge im Mittelpunkt, deshalb war es uns auch wichtig, Zeitzeugen - nach 60 Jahren! - zu finden und einzuladen. Zehn von ihnen sind tatsächlich aus Israel gekommen, begrüßt vom 94-jährigen Marko Feingold aus Salzburg. Durch sie wurden unsere alten Schwarzweißfotos lebendig. Es war, als ob einzelne aus dem Bild herausgetreten wären.

Heuer im Sommer, Ende Juni 2007, war es soweit: Begonnen hatte das Alpine Peace Crossing-Programm bereits am Vormittag des 28. Juni in Saalfelden mit einer Gedenksteinenthüllung, im Zentrum unseres Projektes stand allerdings die Gedächtnisüberquerung über den Krimmler Tauern am nächsten Tag. 155 Menschen nahmen an dem zehnstündigen Marsch teil. Es war ein starkes spirituelles Erlebnis für alle - besonders für die Zeitzeugen.

Beim großen Festakt in Krimml moderierte der Publizist Peter Huemer das Friedensgespräch mit dem israelischen Botschafter Dan Ashbel, dem Bildungswissenschaftler Mouhanad Khorchide, dem Wiener Caritas-Direktor Michael Landau und der außenpolitischen ORF-Redakteurin Margit Maximilian. Die Abschlussveranstaltung war dann in St. Johann im Südtiroler Ahrntal. Insgesamt haben am Friedensprogramm über tausend Menschen aus vielen Ländern teilgenommen, darunter 40 aus dem Flüchtlingsheim Saalfelden.

Beispiele der Humanität

Jeder und jede wird im Leben immer wieder mit Situationen konfrontiert, wo er oder sie die Wahl hat zwischen Wegschauen oder Hinwendung. Peter Hofer schilderte das Beispiel von Liesl Geisler, die 1947 die Wirtin des Krimmler Tauernhauses war:

"Jede zweite Nacht kamen die KZ-Überlebenden mit dem Lkw nach Krimml und lagerten im und um das Tauernhaus, um Kräfte zu sammeln für den Übergang. Es galt, sie zu verpflegen. Liesl kümmerte sich vor allem um die Säuglinge und Kinder, stand unentwegt am Kochfeuer. Hier erwies sich die gute Liesl Geisler-Scharfetter als eine Säule der Menschlichkeit und Mütterlichkeit. Ihr Mitleiden erschöpfte sich nicht in sentimentalen Beteuerungen des Gefühls, sondern sie packte zu mit ihren für das Gute begabten Händen. Von solchen Leuchtfeuern der Humanität lebt eine Gesellschaft mehr als von Deklarationen und Parteitagsbeschlüssen."

Ähnlich das Schicksal von Viktor Knopf: 1945 wurde er als einer der 3000 bis 4000 jüdischen Gefangenen aus dem Lager Ebensee befreit. Der 23-Jährige kam zuerst in ein Auffanglager und kehrte dann in seine Heimat Schlesien zurück. Seine Familie war verschwunden. "Ich habe tagelang geweint, einfach nur geweint." Er ging zurück in den Westen und landete 1946 im Lager Givat Avoda in Saalfelden. Wieder zu Kräften gekommen, heuerte ihn die "Bricha" als Bergführer an, der die Flüchtlinge über den Krimmler Tauern führen sollte. "Bricha" (hebr. Flucht) war eine jüdische Fluchthilfeorganisation, die vielen Menschen half, nach Palästina zu flüchten. Viktor Knopf geleitete mehrere Tausend von ihnen in ihre neue Freiheit. Seine Heimat fand er später in Zell am See, wo er 1998 verstarb.

Flüchtlinge heute

Warum war es so nahe liegend, nicht nur die Flüchtlinge aus dem Jahr 1947 zu ehren, sondern auch die Flüchtlinge 2007 einzubeziehen? Die Antwort ist einfach und erschütternd zugleich: Es hat sich nicht viel geändert. Auch die heutigen Flüchtlinge will niemand. Die Weltöffentlichkeit nimmt kaum oder wenig Notiz von ihnen. Der norwegische Flüchtlingsrat schätzt, dass ihre Zahl zum Jahresende 2006 sogar auf 25 Millionen angewachsen ist, um vier Millionen mehr als vor einem Jahr. Die meisten von ihnen - fünf Millionen - leben im Sudan. Aber wer weiß, dass es auch in Kolumbien 3,8 Millionen Vertriebene gibt? Oder zwei Millionen im Irak oder in Uganda und in der Demokratischen Republik Kongo? Das Schicksal, das ihnen zuteil wird, ist grauenvoll. Die internationale Politik und die internationalen Medien werden hier ihrer Verantwortung nicht gerecht.

In Österreich gab es damals Frieden, aber keine offenen Arme. Die Angst begleitete die 5000 Menschen, als sie durch das Wimbachtal hinauf zur Passhöhe zum Krimmler Tauern gingen. Ähnlich geht es den "boat people" heute, die sich aus Afrika Richtung Europa einschiffen, auf überfüllten und altersschwachen Kähnen.

Nachhaltigkeit sichern

Umso wichtiger ist es, die Nachhaltigkeit des Projektes Alpine Peace Crossing sicherzustellen. Und es gibt bereits erste Erfolgsmeldungen: Die Salzburger Landesregierung hat auf Vorschlag von Doraja Eberle die Etablierung eines Liesl-Geisler-Preises für Menschlichkeit angekündigt. Anfang 2008 wird das Alpine-Peace-Crossing-Buch veröffentlicht sowie eine DVD, die gemeinsam allen österreichischen Mittelschulen zur Verfügung gestellt werden. Außerdem haben die Organisatoren des Gedenkmarsches angeregt, die zweitägige Überquerung der Krimmler Tauern in Alpine-Peace-Crossing-Friedensweg umzubenennen. Vielleicht ist es bereits im nächsten Jahr soweit - beim Alpine Peace Crossing 2008 des Nationalparks Hohe Tauern Salzburg.

Auch weiterhin steht der Alpine-Peace-Crossing-Gedanke unter dem Ehrenschutz von Bundespräsident Heinz Fischer, unterstützt von der österreichischen Bundesregierung und der Salzburger Landesregierung sowie einem sehr prominent besetzten Ehrenkomitee von über hundert Persönlichkeiten, darunter auch höchste Vertreter der Religionen wie Kardinal Christoph Schönborn, Oberrabiner Paul Chaim Eisenberg und Anas Schakfeh.

Appell für den Frieden

Das Projekt mündet in einen Friedensappell: dabei steht wieder der Einzelne im Vordergrund. Jeder ist aufgerufen zu helfen und nicht wegzuschauen. Es ist aber auch ein Appell an die Politik, die Medien und andere Entscheidungsträger, keine Bedingungen zuzulassen, die Menschen zur Flucht zwingen. Dieser Appell kann auf der Homepage von Alpine Peace Crossing unterstützt werden.

Dem aus Krimml gebürtigen Medailleur Helmut Zobl ist mit seiner Gedenkmedaille zur Gedächtnisüberquerung 2007 eine Meisterleistung gelungen. Wir sehen darauf die Menschen, wie sie von Saalfelden und Krimml zum Tauernhaus gehen, dort eine schützende Hand vorfinden, um ihre Überquerung dann in Kasern im Ahrntal zu beenden. So eine schützende Hand brauchen auch die Flüchtlinge von heute.

Der Autor ist Direktor von BNP Paribas Österreich und Initiator von Alpine Peace Crossing.

www.alpinepeacecrossing.org

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