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Keinen Glassturz

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DIEFURCHE: Welche Bedeutung hat der „Homosexuellen-Paragraph”? Wer landet ipr dem Richter? Helmut Graupner: Da gibt es keinerlei Gesetzmäßigkeiten. Das Bild vom „älteren Lüstling”, der Jugendliche verführt, existiert jedenfalls mehr in der Phantasie als in der Realität. Im Jahr 1994 war ein Drittel der angezeigten Personen unter 25 Jahre alt. Sogar Unter-19jährige können in diese Mühle geraten, wenn sie angezeigt werden. Schlimme Situationen können entstehen, wenn die Eltern erst dadurch erfahren, daß der Sohn homosexuell ist.

DIEFURCHE: Welche Strafen gibt es? Gral'PNER: Zwei Drittel bis drei Viertel aller Strafen sind Freiheitsstrafen, in 20 bis 30 Prozent der Fälle unbedingt.

Häufige Strafen sind beim ersten Mal sechs Monate bedingt, beim zweiten Mal ein Jahr unbedingt - das bedeutet, daß der Täter 18 Monate sitzt, als „Sexualverbrecher” ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung.

DIEFURCHE: Wie sollte die Regelung Ihrer Ansicht nach aussehen3 graupner: Die Bestimmungen gegen Homosexuelle - neben Paragraph 209 auch das „Werbeverbot” und das „Vereinsverbot” - gehören ersatzlos gestrichen. In anderen Ländern kommt man auch ohne derartige Begelungen aus.

DIEFURCHE: Auch eine allgemeine Festlegung des Schutzalters mit 16 Jahren wird diskutiert... graupner: Der eigentliche Grund für diese Diskussion ist doch nur, daß man sich scheut, das Schutzalter für

Homosexuelle auf 14 Jahre zu senken. Warum sollen das alle Jugendlichen ausbaden? Der Verstoß gegen das geltende Schutzalter von 14 Jahren ist doch ein typisches Jugenddelikt, es gibt massenhaft Verfahren gegen 14- bis 17jährige „Täter”. Bei einer Anhebung auf 16 Jahre würden weitere Zigtausende Jugendliche kriminalisiert.

DIEFURCHE: Dieses Problem läßt sich lösen, indem man zum Beispiel Personen bis 19 Jahre ausnimmt graupner: Altersgrenzen beim Täter sollten vermieden werden. Sonst entsteht wieder das Problem, daß etwas zunächst erlaubt und ab dem 19. Geburtstag plötzlich verboten ist. Selbst in den echten Problemfällen

- 15jähriges Mädchen wird von 35jährigem Mann „nur ausgenützt”

- würde ein Gerichtsverfahren alles nur noch schlimmer machen: Einvernahmen bei der Polizei, bohrende Fragen von Staatsanwalt und Verteidiger, von denen der eine das Mädchen als „naiv” und der andere als „verdorben” hinstellen will. Wirklich verantwortungsvolle Eltern würden nie Anzeige erstatten.

DIEFURCHE: Soll aber deshalb in diesem Bereich „alles erlaubt” sein3 graupner: Alles, was freiwillig geschieht. Man soll die Jugend nicht unter einen Glassturz stellen. Streng bestrafen sollte man Mißbrauch und Gewalt. Aber wegen Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses wurde bei uns im Jahr 1989 die letzte unbedingte Freiheitsstrafe Verhängt.

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