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Mattei und sein Erbe

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Noch bevor in dem Flecken der adriatischen Marken, in Matelica, der Sarg mit den sterblichen Resten des italienischen „Ölkönigs“, Enrico Ma,t-tei, ins Familiengrab sank, wurde in den Parteisekretariaten und politischen Konventikeln der Hauptstadt die Nachfolge diskutiert. Mattei, Präsident des Staatsholdings für Kohlenwasserstoffe E. N. I. und siebzigmal Präsident jeder einzelnen der siebzig Tochtergesellschaften, hinterläßt ein Wirtschaftsreich, in dem es keine Satrapen gegeben hat, wo er al einziger geherrscht hat. Dem Gesetz nach der Kontrolle der Regierung, dem Ministerium für Staatsbeteiligungen und der Aufsicht des Obersten Rechnungshofes unterworfen, hat er in Wirklichkeit eine souveräne Herrschaft ausgeübt. Mit dem Anwachsen seiner wirtschaftlichen und finanziellen Potenz hat er sich eine politische Hausmacht geschaffen, die ihm volle Rückendeckung sicherte, ihm und seinem Werk, auf das es Mattei mehr ankam als auf die eigene Person und Stellung.

Die Mattei-Saga von dem angesichts des Erreichten unglaublichen Aufstieg eines kleinen Handelsvertreters zum Kondottiere der Staatswirtschaft Italien findet mit dem tragischen Tod in der sumpfigen Ebene zwischen Pavia und Mailand, zwischen den Trümmern seines eigenen Düsenflugzeuges, ihr dramatisches Ende. Aber um beurteilen zu können, welche Probleme es für die Politik und die Wirtschaft mit sich bringt, muß man wissen, was Enrico Mattei für Italien bedeutet hat. Die industrielle Bedeutung der Erdgasvorkommen in der Poebene erkennend — entdeckt waren sie schon in den letzten Kriegsjahren —, riß er zunächst das Schürfmonopol in ganz Norditalien an sich und betrieb mit Eifer den Ausbau des Leitungsnetzes und die „Me-thanisierung“ der norditalienischen Industrie. Diese erhielt die neue wertvolle Energiequelle zu einem Preis, der gerad noch die Umstellung von Kohle oder Öl auf das Erdgas vorteilhaft machte. Das Erdgas wurde die finanzielle Basis aller Unternehmen Matteis und ist es im Grund immer geblieben. Ohne das Gas würde die sich wie ein Ölfleck ausdehnende Tätigkeit des E. N. I. nicht möglich geworden sein. Mit dem Erlös aus dem Gasverkauf konnten Fehlspekulationen saniert und unrentable Unternehmen gestützt werden. Denn auch der geniale Kommerzsinn Matteis kannte Rückschläge. Im Dienste des Staates, der Öffentlichkeit also, stehend, kam es ihm auch nicht immer und unbedingt auf die Wirtschaftlichkeit der Betriebe an, wie sie die Privatindustrie versteht. Seine Unternehmen waren öfter auch aus anderen Gründen entstanden, aus sozialen etwa, um nach unterentwik-kelten Gebieten Siziliens oder Ka-labriens Arbeit zu bringen, aus Machtstreben und Vergeltunesdring, um der privaten Konkurrenz in Italien od?r dem gehaßten internationalen Erdölkartell in der Welt in irgendeinem Industriesektor und irgendwo im Ausland Schach zu bieten. Mattei hat ein ganzes Team von Mitarbeitern beschäftigt, um die Globalbilanz des Holdings E. N. I. so undurchsichtig wie möglich zu machen. Tatsächlich ist aus der Jahresbilanz nicht ersichtlich, welche Unternehmen passiv und welche aktiv sind. Für Mattei selbst war die Frage ohne Interesse, ihm kam es auf die Ziffer an, die unter dem Schlußstrich stand, und daß sie für Italien von Vorteil war.

Das Interesse Italiens war für Mattei die einzige politische Triebfeder: seine Initiativen unter den jungen Staaten Afrikas und im Nahen Osten und die Geschäftsverbindungen mit den kommunistischen Ländern Europas sind zu Unrecht ideologisch interpretiert oder mit einem bestimmten politischen Kurs identifiziert worden. Mattei kam es nur auf den Vorteil Italiens an. Die Marokkaner fühlen sich von ihm düpiert, weil er ihnen eine überalterte Raffinierie verkauft habe; die arabischen Länder haben zu ihrem Mißvergnügen gesehen, daß Mattei dem konkurrierenden sowjetischen Öl die Tore Europas öffnen wollte. Innenpolitisch hat sich Mattei niemals festgelegt und sich zu keiner der christlichdemokratischen Gruppen bekannt, sondern dem Augenblick der Opportunität folgend, bald der einen, bald der anderen schöne Augen gemacht, unter der Bedingung, daß sie seinem Willen folgten. Mattei war so wenig „Exponent der christlichdemokratischen Linken“, wie wenig er sich zur Politik der „linken Mitte“ bekannt hat. Im Gegenteil, die letzten Wochen und Monate haben ihm argen Verdruß mit dem Ministerpräsidenten Fanfani gebracht.

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