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Rebell in der Soutane

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Neben der eindrucksvollen Kathedrale von Bogotä, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der Antonio Nifiez 1794 die Menschenrechte ins Spanische übertrug, steht eine Statue mit der Aufschrift: Ca- milo Torres, vivid para la patria y murid por ella — 1815; ‘er lebte und starb fürs Vaterland. Im Feber 1966 wurde ein gleichnamiger getötet, der ebenfalls bereit war, für Kolumbien au sterben: Camilo Torree, katholischer Priester, revolutionärer Führer, 38 Jahre alt.

Bogotä war wie vom Schlag gerührt, als ein Militärsprecher lakonisch mitteilte, in einem Gefecht in der Provinz Santander zwischen einer Patrouille der 5. Brigade und bewaffneten Banden seien fünf Angreifer getötet worden. Einer von ihnen konnte als Camilo Torres identifiziert werden. Nach Bekanntgabe der Nachricht besetzten Polizeieinheiten blitzartig die Stadt, um die erwarteten Unruhen im Keim zu ersticken. Nichts geschah. Noch hatten die Vorlesungen der Nationaluniversität nicht begonnen, von der aus die Demonstrationen gegen die Regierung zu beginnen pflegen. Empörte Freunde des revolutionären Priesters konnten daher nur in ohnmächtiger Wut an die Wände schreiben: Camilo, wir werden Dich rächen!

Innerhalb eines Jahres war der Universitätspfarrer und Dozent für Soziologie Camilo Torres zum Ideal der Studenten, Arbeiter und Armen geworden. Die kargen Meldungen über seinen Tod führten zu wilden Spekulationen, die besagen, Torres sei nicht in einem Gefecht gefallen, sondern wäre von Agenten der Regierung umgebracht worden. Die herrschenden Schichten freilich lob ten die Zügigkeit der militärischen Operation und wurden nicht müde, Camilo Torres zu belächeln und zu erklären, dieser sei völlig unter dem Einfluß seiner Mutter gestanden, die einen Märtyrer wollte und ihn nun auch bekam. Die revolutionären Ideen stammten überdies von seiner Sekretärin, die einem Kommunismus chinesischer Prägung zuneigte und damit Camilo Torres in die Berge getrieben hätte.

Die Meinungen über den Rebellenpriester reichen in vielen Facetten von Idollsierungen über die Verteufelung zur Lächerlichkeit. Diese verwirrende — und faszinierende — Gestalt macht jedoch die Brüchigkeit der sozialen und politischen Ordnung Kolumbiens deutlich. Im Parlament sitzen liberale und konservative Abgeordnete, die witzige und geistreiche Reden halten und darüber das Land mit seinen potentiellen Reich- tümem verkommen lassen. Ein Abkommen zwischen den führenden Familien der Oligarchie schuf eine bizarre Koalition, nach der das Amt des Präsidenten abwechselnd von einem Liberalen und einem Konservativen ausgeübt wird, ungeachtet der Wahlergebnisse. Ein strenger Proporz („Milimetria”) wacht über die entsprechende Verteilung der anderen Ämter. Die Politik der Regierung erschöpft sich darin, keine Entscheidungen zu treffen. Damit lösen sich in der Tat einige Fälle von selbst, doch das Bandenunwesen in den Provinzen weitet sich aus und nimmt ideologisches Profil an, die Slums am Rande der Städte wuchern, die öffentliche Sicherheit ist gleich null. Der Rebellenpriester wurde getötet, weü er gegen die Regierung antrat, welche diese Zustände nicht beseitigte.

Ein neues Weltbild

Camilo Torres entstammte der Bourgeoisie, welche die dünne Schichte aus Geld, Besitz, Wissen und Geist bildet, mit der die Brüchigkeit der sozialen Ordnung Kolumbiens überdeckt wird. Torres akzeptierte diese Ordnung. Mit jungen Jahren wurde er, ohne Zweifel unter dem Einfluß seiner Mutter, zum Priester geweiht. Seine Vorgesetzten entsandten ihn an die Universität von Löwen zur weiteren Ausbildung. In den soziologischen Saminarien in Belgien formte sich in dem jungen Priester ein neues Weltbild, das auf dem vom Menschen gewollten und von ihm herbeigeführten Wandel beruhte. Camilo Torres kehrte nach Bogotä mit Augen zurück, die schärfer sahen als vorher. An der Vniver- sidad Nacional wurde er mit einer Dozentur für Soziologie betraut; er arbeitete gleichzeitig auch als Seelsorger für 11.000 Studenten.

Im Laufe der letzten zwei Jahre wurde er zum umstrittensten Mann Kolumbiens. Seine scharfen Angriffe auf Regierung und Kirchenhierarchie schufen ihm rasch eine große Anhängerschaft. In Vorträgen forderte er die Bildung einer starken Regierung, um dem Volk seine Rechte zurückzugeben und ihm eine „echte Existenz” zu ermöglichen. Gleichzeitig begann er die Klasse zu denunzieren, der er entstammte. Vor allem ging es dem Priester-Soziologen um die Realisierung eines echten Christentums. Man kann heute in Südamerika nicht Christ sein, predigte er immer wieder, ohne die Bereinigung des materiellen Elends als primäres Problem zu sehen. Mit Hilfe von Planungstechmken muß rasch eine neue soziale Ordnung geschaffen werden. „Wir benötigen keine christlich-demokratische Partei. Wichtiger ist es, als Christ mit den Revolutionären zusammenzuarbeiten.” Unter dem Einfluß des Dialogs zwischen Christen und Marxisten in Europa verlangte Camilo Torres von den Katholiken Kolumbiens, mit den Kommunisten zu kooperieren, die christliche Liebe müsse stärker sein als deren Haß. Entscheidend sei, daß die Kooperation zwischen den beiden Kräften die rasche Umformung Kolumbiens garantiere. Trotz der soziologischen Ausbildung bleiben die Ideen Camilo Torres’ unpräzise. Seine Vorschläge waren eine merkwürdige Mischung aus soziologischen Planungstechniken und vulgärem Marxismus. Doch für die Studenten und Armen wurde er in kürzester Zeit zum Symbol einer baldigen Befreiung. Camilo Torres setzte auf eine friedliche Lösung, die aus der Addition zweier Kräfte, der Bereitwilligkeit der herrschenden Schichten zum Wandel und dem revolutionären Druck des Volkes, erfolgen sollte.

„Ich ziehe die Soutane aus!”

Zur weiteren Propagierung seiner Ideen gründete Camilo Torres mit anderen zornigen jungen Männern eine Zeitschrift, Freute Unldo, und hielt Vorträge in Provinzstädten, wo sich ihm junge Priester begeistert anschlossen. Eine politische Bewegung begann sich zu formen. „La rebelion de las sotanas” bereitete der Regierung Valencias ernste Kopfschmerzen; die Beteiligung einer Camilo-Torres-Partei an den kommenden Wahlen konnte die Koalitionsregierung in Gefahr bringen. In dieser entscheidenden Situation traf der rebellierende Priester zwei Entscheidungen, die sich verhängnisvoll auswirken sollten. Zum Entsetzen seiner Mitarbeiter von „Frente Unido” und der ln Kolumbien bedeutungslosen Christlich-Demokratischen Partei erklärte Torres, für die kommenden Wahlen nicht zu kandidieren, „denn die Mission unserer Bewegung besteht keineswegs darin, an Wahlen teilzunehmen, deren Ausgang heute schon feststeht.” Zur selben Zeit kam es zu dem notwendigen Zusammenstoß mit den kirchlichen Vorgesetzten. Der Kardinal von Bogotä erkärte: „Wenn Camilo Torres Politik machen will, soll er das Priesterkleid ausziehen!” Es folgte eine kurze und heftige Unterredung zwischen dem Kardinal und dem Rebellenpriester, aus der Camilo Torres bleich und erregt zurückkam, um zu erklären: „Die kolumbianische Kirche befindet sich ln den Händen der Reaktion. Ich ziehe die Soutane aus”. Diese „des- sotanicacion” kostete ihn viele Anhänger unter dem Volk, da er damit sein Statussymbol verlor. Doch die Studenten feierten Ihn um so begeisterter. In den kommenden Wochen erschien Camilo Torres in schwarzer Hose und schwarzem Hemd ohne Krawatte. Seine Erklärungen wurden schärfer, entschiedener, verwandelten sich in Denunziationen. Die Zerstörung einer politischen Ordnung nach dem kubanischen Modell wurde nun gutgeheißen. Camilo Torres ließ das Konzept einer friedlichen Revolution fallen; weil er ihre Aussichtslosigkeit im südamerikanischen Kontext einsah. Nach einer kurzen Verhaftung in Medellin verschwindet er zusammen mit einigen seiner Studenten spurlos. Gerüchte behaupten, er halte sich in Kuba oder in der Tschechoslowakei auf. Am 8. Jänner bricht Camilo Torres das Schweigen und teilt über einen Geheimsender mit, er kämpfe als Guerilla mit dem Führer der Nationalen Befreiungsarmee, Victor Medina Morn, da nur auf diesem Weg eine gerechte soziale Ordnung erreicht werden könne.

Die Armee greift ein

Die Armee reagierte rasch. Die militärischen Operationen in der Provinz Santander wurden verstärkt. Am 15. Februar ereignet sich das Gefecht, in dem Camilo Torres, in Kampfanzug und mit Fidel- Castro-Bart, fällt. Die Regierung konnte aufatmen. Die Wahlen am 20. März werden nun ohne Zwischenfälle verlaufen.

Doch die entscheidenden Probleme Kolumbiens bleiben ungelöst. Ohne Zweifel erlosch die „Rebellion der Soutanen” für den Augenblick mit dem Tod des Rebellenpriesters. Doch eine Reihe junger Kapläne ist bereit, den Kampf um ein Christentum innerhalb einer gerechten sozialen Ordnung auf revolutionäre Weise fortzuführen. Zum Schrecken der kirchlichen Hierarchie denunzierte der Franziskanerpater Eduardo Arango im Rundfunk Regierung und Militär, Camilo Torres vorsätzlich ermordet zu haben und meinte, er werde das nächste Opfer sein.

Auf die Frage eines Reporters, ob er Angst habe, getötet zu werden, hatte Camilo Torres im vorigen Jahr geantwortet: „Nein, doch es würde mich sehr schmerzen, von der erfolgreichen Revolution sterben zu müssen. Später hätte es keine Bedeutung.” Camilo Torres sollte diesen Augenblick nicht erleben. Viele Studenten der Nationaluniversität sind jedoch überzeugt, daß in sehr kurzer Zeit eine zweite Statue neben der Kathedrale stehen werde mit der Aufschrift: Camilo Torres, viviö para Ja patria y muriö porella — 1966.

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