Wo Jugendliche sein dürfen, wie sie sind

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Roger Schutz, der Gründer der Gemeinschaft von Taizé, ist tot. Sein Werk wirkt schon über mehrere Jugend-Generationen.

Samstagabend, Weltjugendtag. Hunderttausende Jugendliche feiern mit dem Papst Vigil. Die Gesänge der Feier stammen fast ausschließlich aus dem Liedschatz von Taizé. Auch wenn er, Roger Schutz, der wenige Tage zuvor ermordete Gründer der Taizé-Gemeinschaft bei dieser Vigil und auch beim Abschlussgottesdienst am darauf folgenden Sonntag mit keinem Wort erwähnt wurde, ist sein Wirken via Musik präsent.

Zur Idee des Weltjugendtags, heißt es, habe der stille, bescheidene aber so wirkmächtige protestantische Mönch entscheidend beigetragen: Die jährlichen Taizétreffen in europäischen Metropolen, zu denen Zehntausende Jugendliche zusammenkamen und -kommen, hätten Johannes Paul II. zu seinem "Megaevent" Weltjugendtag inspiriert.

Authentisch. Uneitel.

Was macht die Faszination von Taizé aus? Warum sind Jugendliche seit 40 Jahren von dieser Idee angetan? Rainer Bucher, Pastoraltheologe in Graz, führt das auf eine dreifache Grenzüberschreitung zurück, die dem Schweizer Protestanten Roger Schutz, der sich 1940 im burgundischen Flecken Taizé - zwischen Deutschen und Franzosen im Krieg - niederließ, gelungen sei: die Grenzen zwischen Kriegsgegnern (Schutz versteckte Flüchtlinge, nicht zuletzt Juden, und kümmerte sich später um deutsche Kriegsgefangene), die Barrieren zwischen evangelisch und katholisch (als Protestant griff er die "katholische" Mönchsidee auf und zeigte, wie Ökumene konkret werden konnte) und die Gräben zwischen Generationen (er und seine Brüder begeistern junge Menschen).

"Authentisch. Uneitel": So charakterisiert Rainer Bucher Frère Rogers "Macht der christlichen Ohnmacht". Die Elemente Liturgie, Nächstenliebe, Gemeinschaft und der radikale Angebotscharakter - niemand werde zu etwas gezwungen - seien das, was viele anziehe.

Schon drei Generationen weit reicht diese Faszination. Gebhard Mathis, heute Primarius im vorarlbergischen Hohenems, war Mitte der 60er Jahre als 15-Jähriger erstmals in Taizé, nach der Matura ist er wiederholt ins burgundische Dorf gefahren; er hat das von Frère Roger Schutz Anfang der 70er Jahre ausgerufene "Konzil der Jugend" miterlebt - und dessen Spiritualität in die Katholischen Hochschulgemeinde Wien hineingetragen.

Schutz habe mit seiner Gemeinschaft das II. Vatikanum glaubwürdig aufgearbeitet, das habe ihn beeindruckt. Mathis interpretiert die von Taizé ausgelöste Bewegung auch aus der 68er-Zeit heraus: Die Enttäuschung von "Linkskatholiken" über die gesellschaftlichen Entwicklungen wurde durch die Taizé-Bewegung kanalisiert und motiviert, die - auch von Frère Roger - geprägten Schlagworte wie Kampf und Kontemplation, Solidarität und Spiritualität drückten dieses Gefühl aus. Und eine "starke Liturgie" oder die Bibelarbeit - ein ganz neuer Zugang zur Bibel! - in Taizé prägten nicht nur den angehenden Mediziner Gebhard Mathis. Die Brüder schickten Mathis & Co auch in den Ostblock - etwa nach Ungarn, wo verschwiegene Kontakte geknüpft wurden.

Solidarität und Spiritualität

Wichtig war und ist, so Mathis, dass sich "Taizé" nie als Sondergruppe oder "Bewegung" verstanden habe, sondern dass die Gemeinschaft Wert darauf legte, dass sich diese Spiritualität im konkreten Leben, in der eigenen Pfarrgemeinde bewährt.

Bettina Demblin, Caritas-Mitarbeiterin und Mutter, kann das bestätigen. 1977, als 22-Jährige, ist sie erstmals in Taizé, seither kommt sie jedes Jahr für eine Woche, sie hat rund um den Katholikentag 1983 eine große Begegnung mit Frère Roger in Wien mitorganisiert und ist in Wiener Taizégruppen engagiert.

Demblin erzählt, wie wichtig ihr durch Taizé die Beschäftigung mit der Bibel geworden ist und die Erkenntnis, dass man Christentum ganz einfach - auch ohne große Hierarchie und kirchlichen "Ballast" - leben kann. "Für uns strukturierte Europäer ganz etwas Neues", meint sie: "Ein Projekt wird nicht am Papier oder Glanzdruckfolder entworfen, um in tausend Sitzungen bearbeitet, zerstritten zusammengefügt zu werden." In Taizé laufe das genau umgekehrt: Aus vorhandenen Beziehungen, Gastfreundschaft, Besuchen entstehe ein "Projekt", eine größere Planung. Wichtig ist für Demblin dabei auch, dass sie aus der durch Taizé erfahrenen Solidarität mit Notleidenden geprägt wurde, einen einfachen Lebensstil zu entwickeln: "Es wird zum Herzensbedürfnis, an einer gerechten, faireren Welt zu bauen."

Wenn diese Erfahrungen sie nun schon über ein Vierteljahrhundert prägen: Spricht Taizé heute immer noch Jugendliche an? Demblin bejaht: 6.000 Jugendliche kommen im Sommer jede Woche nach Taizé, dazu etwa 400 Familien und gut 200 Erwachsene. Also: Taizé ist immer noch ein Ort für Jugendliche.

Davon berichtet auch Stefanie Zautner, oberösterreichische Theologiestudentin in Wien: Zum dritten Mal war sie heuer in Taizé, zuerst wollte sie schauen, wie es dort ist, und war dann fasziniert, wie still 3.000 Menschen in der Kirche sein können! "In Taizé", so Zautner, "funktioniert über Grenzen, Kriege, Sprachen hinweg einfach alles, dort ist für alle Raum und Zeit." Taizé präge inzwischen auch das Beten in ihrer Familie und in der Caritas-Gemeinde Wien-Meidling, wo Zautner eine Jugendgruppe leitet.

Die 16-jährige Johanna Polesny gehört zu dieser Gruppe, auch sie kennt Taizé: "Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Zuerst war ich skeptisch - dreimal am Tag in die Kirche gehen?" Aber dann hat sie viele Leute aus aller Welt kennen gelernt. Hat sie auch Frère Roger gesehen? "Selbstverständlich. Er war bei jedem Gebet dabei, und obwohl er ja schon sehr alt und krankwar, hat er jedesmal in drei Sprachen etwas vorgelesen." Und immer waren Kinder rund um ihn, die er auch gesegnet hat.

Nichts wird aufoktroyiert

Dass Taizé Jugendort bleibt, bestätigt auch Ilse Kögler, Theologin, Jugendforscherin und Rektorin der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz: "Jugendliche haben dort einen Ort, wo ihnen zugehört wird, wo sie sein dürfen, wie sie sind, wo sie in einer Gemeinschaft sind, die ihnen zeigt, wie man spirituell leben kann, ohne dass irgendetwas aufoktroyiert wird." Und wirken sich diese Erfahrungen zu Hause aus? Kögler meint, dass sie die Jugendlichen anregen, die Erfahrungen auch in ihren Ortskirchen zu wiederholen.

Alle Gespräche über Taizé, die die Furche führte, kreisten vor allem um die Sache - der Gründer war meist in diesem von ihm angestoßenen Werk präsent. Auch das mag typisch sein fürs Vermächtnis von Roger Schutz, dessen gewaltsamer Tod nach solch Frieden stiftendem Leben wie eine Absurdität der Geschichte erscheint.

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