"Man darf das nicht einfach den Eltern überlassen"

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Die Furche: Frau Windhager, Sie haben den Film "Wie die anderen" noch nicht gesehen - und kritisieren ihn trotzdem heftig. Warum?

Maria Windhager: Ich habe mir im Juni den Trailer angesehen (mittlerweile wurden die Bilder von Dominik auf wiedieanderen.at entfernt, Anm.) - und der hat mir gereicht. Ich habe mich gefragt, ob höchstpersönliche Rechte von Kindern tangiert werden. Und wenn ein Therapiegespräch gefilmt wird, ist das etwas Höchstpersönliches. Da frage ich mich: Wer hat hier zugestimmt?

Die Furche: Laut Regisseur sowohl die Kinder und Jugendlichen selbst als auch ihre Eltern ...

Windhager: Bisher ist man davon ausgegangen, dass die Eltern über die Bilder ihres Kindes verfügen dürfen. Doch was ist, wenn Eltern nicht sensibel sind und ungeniert Details aus der Intimsphäre ihres Kindes ausbreiten? Hat das Kind dann keinen Schutz vor medialen Indiskretionen, die im Internet ewig abrufbar bleiben? Man darf das also nicht einfach den Eltern überlassen. Die jüngste Entscheidung des Wiener Oberlandesgerichtes, die ich erwirkt habe, beantwortet diese Grundsatzfrage jedenfalls eindeutig: Ganz egal, wer die Obsorge für ein Kind hat - die Zustimmung zu einer Bildveröffentlichung, die den höchstpersönlichen Lebensbereich verletzt, ist nicht übertragbar. Und wenn die betroffene Person noch nicht einsichtsfähig ist, etwa auf Grund ihres Alters, dann gibt es eben keine Zustimmung. Dieses Urteil ist ein Meilenstein, weil es Kinder endlich ernst nimmt und das recht auf informationelle Selbstbestimmung stärkt.

Die Furche: Das Urteil bezieht sich auf einen reißerischen Boulevard-Artikel. Kann man diese Bloßstellung mit einem sensiblen Film vergleichen?

Windhager: Nach dem Medienrecht ist die Veröffentlichung von höchstpersönlichen Details immer bloßstellend - auch in seriösen Medien.

Die Furche: Würde das radikale Weiterdenken dieses Urteils nicht dazu führen, dass gar keine Kinderfotos mehr öffentlich erscheinen dürfen?

Windhager: Das ist ein vollkommenes Missverständnis. Sie dürfen zum Beispiel nach wie vor Fotos von Kindern aus Alltagssituationen bringen, es geht nur um den Schutz der Intimsphäre. Es kann ja sein, dass etwa eines der Kinder aus dem Film in ein paar Jahren sagt: Damals bin ich überrollt worden! Selbst Erwachsene können oft nicht ermessen, was es bedeutet, in den Medien vorzukommen. Bei Sophie, die im Laufe der Dreharbeiten volljährig geworden ist, kann man überlegen, ob diese Einsichtsfähigkeit schon gegeben ist. Aber beim siebenjährigen Dominik ist die Situation problematisch. Dass es dafür bei manchen noch immer kein Bewusstsein gibt, macht mich fassungslos.

Die Furche: Regisseur Wulff sagt, das Verpixeln der Kinder hätte die "Entstigmatisierung" torpediert ...

Windhager: Ich glaube schon, dass es Möglichkeiten gegeben hätte, ein filmisches Stilmittel zu finden, bei dem die Identität der Kinder geschützt gewesen wäre. Auch das "Direct Cinema" zeigt ja nie die Realität; sobald eine Kamera im Spiel ist, ist es eine Inszenierung. Dass keine Alternative zum Schutz der Kinder gesucht wurde, finde ich sehr schade, weil ich das Anliegen des Filmes wirklich unterstütze. Man muss auch bedenken, dass die Wirkung des Films eine andere ist, wenn ich ihn im geschützten Bereich des Kinosaals sehe oder verwertet im Netz. Deshalb müssen wir auch besonders achtsam sein und offen diskutieren.

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