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Digital In Arbeit

Was tun, wenn wir nichts tun?

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Dem Begriff „Freizeit “ entspricht ein vielfältiger Inhalt. Als Ganzes ist die Freizeit ein Freisein von der Erwerbsarbeit. Daher kennt auch nur der Erwerbstätige eine Freizeit, nicht der Student, nicht die Hausfrau. Beiden fehlt die gegensätzliche Entsprechung von Freizeitwelt und Arbeitswelt.

Die Freizeit des Arbeitnehmers ist zwar ein Freisein von beruflicher Tätigkeit, nicht aber durchweg die Chance eines alternativen, eines spontanen Verhaltens.

Nicht alles Freizeitverhalten entstammt eigener Entscheidung. In einem wachsenden Umfang, fast gleichförmig mit der Verminderung der Erwerbszeiten, geht der Mensch Freizeitbindungen ein.

• Ein Teil der Freizeit dient ohnedies dazu, die im Erwerbsprozeß abgebaute Arbeitskraft zu amortisieren (Freizeit = Erholungszeit).

• Nicht minder stark aber ist die Konsumbindung in der Freizeit. Die Menschen, bestimmt durch die anziehenden Verhaltensmuster der Freizeitindustrie, müssen Verbraucherrollen spielen, die ihnen von der Gesellschaft zugemutet werden. Auch dann, wenn es kein kontrollierendes „Publikum“ gibt, verhalten sich die Massen der Konsumenten entsprechend den ihnen aufgegebenen Normen, so, als ob der „große Bruder“ ihr Freizeitverhalten jederzeit fixieren könne. Dadurch aber kommt es zu einem anstrengenden, in Stundenplänen festgehaltenen Freizeitverbrauch, zu einer „quartären Produktion“ (zum Beispiel Autoraserei). Die Folgen des körperlich und geistig anstrengenden Freizeittuns sind die Sonntagsmüdigkeit und die Freizeiterkrankungen, die den Berufskrankheiten ähnlich sind. • Nur ein kümmerlicher Rest der gebotenen Freizeit bleibt schließlich einem spontanen Verhalten in der Freizeit reserviert. Ausgenommen sind Freizeiteliten, die, gleichsam Freizeitpartisanen, über ihr Freizeitverhalten noch weitgehend selbst entscheiden können.

Bindungen, Bindungen

. Die Bindung der Verhaltensweisen der Massen in der Freizeit hat bedenkliche Ähnlichkeit mit der Disziplinierung des Menschen im Rahmen des Arbeitsvollzuges, mit der Bindung des Arbeiters an die Maschinen, die er „bedienen“ muß. Dank der Entwicklung der Technik sind viele Arbeitsverfahren „vermenschlicht“ worden, soweit nicht das System des Zeitzwanges in der Fertigung herrscht. Dafür entsteht aber die bedenkliche und in keiner Weise sachgesetzlich bestimmte Verpflichtung des Menschen, sich bei seinem Freizeittun ganz nach den Gewinnerwartungen der Freizeit-industriellen zu verhalten, sie mögen der Privatwirtschaft oder der „Gemeinwirtschaft“ (siehe „Stadthalle“) angehören.

Mehr denn je ist daher die Freizeit nicht nur ein sozialpolitisches, sondern auch ein sozialpädagogisches Problem: Was soll der Mensch tun, wenn er „nichts tut“?

Der Ansatz zu einer Freizeitpädagogik liegt aber in der Analyse des gegebenen und typischen Freizeitverhaltens.

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