Hélène Miard-Delacroix - © Foto: Alain Mandel/wikimedia

Pensionsreform in Frankreich: „Endloser Konflikt“

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Warum werden die Kämpfe um die Pensionsreform in Frankreich derart erbittert geführt? Antworten der Historikerin Hélène Miard-Delacroix.

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Warum werden die Kämpfe um die Pensionsreform in Frankreich derart erbittert geführt? Antworten der Historikerin Hélène Miard-Delacroix.

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Die Historikerin Hélène Miard-Delacroix meint, die nicht enden wollenden Streiks in Frank­reich seien Konsequenz eines traditionsreichen Systems, dessen Reform längst überfällig sei. Interview über Frankreichs Streikkultur.

DIE FURCHE: Frankreich kommt nicht zur Ruhe. Geht es bei den Streiks wirklich nur um die Pensionsreform?
Hélène Miard-Delacroix: Man muss unterscheiden: Die Kerngruppe der Streikenden, vor allem Mitarbeiter der Bahn, steht für die Beibehaltung eines Systems, von dem die Welt nur träumen kann. Mit 52 Jahren in den Ruhestand gehen und dabei ungefähr 3000 Euro bekommen. Diese Gruppe ist relativ klein, aber gut organisiert. Sie kann den Verkehr in Paris lahmlegen und hat dies auch wochenlang getan. Bei den Demos sehen wir aber auch viele, die mit der Politik von Macron unzufrieden sind.

DIE FURCHE: Warum wehren sich die Streikenden so hartnäckig gegen jede Reform?
Miard-Delacroix: Die Mitarbeiter im öffentlichen Dienst kämpfen für die Beibehaltung ihrer Pensionsprivilegien, der régimes spéciaux. Sie stammen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als es zur Versöhnung der Résistance mit französischen Nazi-Kollaborateuren kam. Vereinfacht gesagt haben Gaullisten mit Kommunisten einen modernen Sozialstaat aufgebaut, mit bestimmten Vorzügen in einigen Berufen.

DIE FURCHE: Und das ist nicht finanzierbar?
Miard-Delacroix: Schon lange nicht mehr. Damals gab es im Durchschnitt vier Erwerbstätige, die für einen Rentner einzahlten, heute sind es nur noch anderthalb. Die Staatskasse schießt jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro zu. Das bezahlt der Steuerzahler.

DIE FURCHE: Die Bevölkerung steht aber hinter den Reformen.
Miard-Delacroix: Ja, die meisten sind trotz des Unmuts über die Streiks in Paris dafür. Andererseits ist es auch ein Stellvertreterkrieg, und viele sagen: Wenn man anfängt, an diesen Errungenschaften zu nagen, ist es der Anfang vom Ende des Sozialsystems und es wird dann überall abgebaut.

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