Der zärtliche Expressionist

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Erste umfassende Otto-Mueller-Retrospektive in München.

Rund ein dreiviertel Jahrhundert hat es gedauert, bis der Schlesier Otto Mueller (1874-1930) einer umfassenden Retrospektive und eines Werkverzeichnisses gewürdigt wurde. Die Münchner Hypo-Kulturstiftung ermöglicht nun in Zusammenarbeit mit dem Essener Museum Folkwang einen umfassenden Blick (150 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen) auf das Schaffen. Obwohl man einzelne Bilder des "Zigeuner-Mueller" immer wieder einmal trifft: eine Entdeckung!

Der "Zigeuner-Mueller"

Nach kurzem Studium an der Dresdener Akademie geht Mueller nach München, bildet sich autodidaktisch weiter, erkennt seine Vorbilder u. a. in Franz von Stuck, Hans von Marées, Paul Cézanne, findet Weggefährten in den Malern der "Brücke", in Carl Hofer und Wilhelm Lehmbruck. Überhaupt findet sich bei ihm viel, was in der Aufbruchszeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg beliebt wurde: plakative Ausdrucksmittel in wenigen Strichen, Exotismus, Masken und Symbole aus der Südsee.

Mueller war mit der Familie von Carl und Gerhart Hauptmann verwandt; Carl Hauptmann gestaltete in dem Roman "Einhart der Lächler" ein Künstlerschicksal, das manche Züge von Otto Mueller trägt. Er beginnt mit dem Satz "Einharts Mutter war Zigeunerin." Ob Mueller von Roma abstammte, ist bis heute ungeklärt. Nach dem Ersten Weltkrieg machte er jedenfalls in vielen Sommern weite Reisen durch Südosteuropa und hielt sich besonders gern in Zigeunersiedlungen auf. Damals konnte man sich noch einer weit verbreiteten Zigeuner-Romantik hingeben. Nicht alle Gruppen waren ständig unterwegs, andere hatten feste Siedlungen. Es gab viel Platz und auch viel Toleranz. Sinti und Roma gehörten - ob man sie mochte oder nicht - zu unserer Welt. Ein drängendes soziales Problem wie heute in manchen postkommunistischen Ländern waren sie nicht. Jedenfalls nicht für Otto Mueller, der mit leichtem, oft zärtlichen Strich festhielt, was er sah.

Respekt vor Roma-Welt

Er wusste um Bräuche und Geheimnisse, bildete zuweilen ihre rätselhaften Amulette auf seinen Bildern ab. Er wusste, dass man die entblößten Brüste der Zigeunerinnen malen dufte (sie wurden ja zur Ernährung der Säuglinge gebraucht), dass aber der Unterkörper, besonders die Beine tabu waren. Die "Zigeuner-Madonna", eine Zigeunerin mit Kind und Tabakspfeife, hat man als Muellers Selbstporträt gedeutet.

Wie er die Zigeuner ohne Anklage, ohne Mitleid oder Polemik darstellt, so auch alle anderen Motive: Liebespaare, Mädchenakte in der Natur, Landschaften, die an Arkadien denken lassen: er zeichnet nur behutsam und genial vereinfacht nach, was seine Augen genießen und woran er auch andere teilhaben lassen will. Mueller setzt keinen Glanz auf. Der grobfaserige Malgrund (meist Rupfen) und die Leimfarben, deren Zusammensetzung sein Geheimnis blieb, wirkten eher wie Fresken, haben sich aber bisher als haltbar erwiesen. Dazu kamen die handkolorierten Schwarzweiß-Lithografien. Aber das Publikum blieb lange zögerlich. Als er mit 56 Jahren an Tuberkulose starb, war von den "Zigeunermappen" fast nichts verkauft.

Die Kuratoren haben sich große Mühe gegeben, Details von Muellers Biografie und den Verbleib vieler Werke aufzuklären. Der Buchhandels-Ausgabe des Katalogs liegt eine CD-ROM mit dem Werkverzeichnis bei, das später auch in Buchform erscheinen soll.

Otto Mueller - Eine Retrospektive Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München

Bis 22.Juni täglich 10 - 20 Uhr

Katalog von Johann Georg Prinz von

Hohenzollern und Mario-Andreas von Lüttichau, in der Ausstellung e 25,-

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