Ein Treffer im Vorbeischießen
Die Johann Hauser-Retrospektive in der Kunsthalle Krems.
Die Johann Hauser-Retrospektive in der Kunsthalle Krems.
Ein Mann mit Mohnblume und ein paar Ähren in der Hand blickt versonnen in den Himmel: der junge Johann Hauser, ein Feschak im Anzug mit Nelke im Knopfloch - das erste Exponat, das man in "Johann Hauser - im Hinterland des Herzens" sieht. Die Kunsthalle Krems zeigt nicht nur in rund 300 starken Werken die erste umfassende Retrospektive des berühmtesten Gugginger Künstlers, sie zeigt auch den Menschen.
Heinz Bütlers Dokumentarfilm "Hauser Johann. Der Zeichner bin ich" entführt in die beengte Lebenswelt der Gugginger Anstalt, zeigt Hauser in verschiedenen Phasen, mit Patienten, zeichnend unter der väterlich-animierenden Obhut des Psychiaters Prof. Leo Navratil. Luis Dimanche porträtierte Hauser in sensiblen Schwarzweißfotografien. Meist gut gekleidet, beim Tischfußballspiel, autodromfahrend im Prater, beim Zeichnen: versunken sitzt Hauser vor fein säuberlich nebeneinander in der Schachtel liegenden Buntstiften. Auf dem Karton vor ihm wird ein Bild seiner Innenwelt entstehen: fröhlich bunt wie seine kindlich unbeschwerte Seite. Bedrohlich, dominiert von Frauen mit raketenartig wegstehenden Brüsten, wüsten, in unzähligen Graphitkreisen gezeichneten Haarbergen die andere. Dokumente gewaltiger Sehnsucht.
Die Fotos vom sichtbaren Hauser ergänzen die Bilder, die das unsichtbare Seelen- und Phantasieuniversum des seit seinem 17. Lebensjahr als "hochgradig schwachsinnig" hospitalisierten Künstlers zeigen. Tiefere Wahrheiten, signiert mit dem einzigen, was er schreiben konnte: Hauser Johann. Er malte nicht leichtfertig: was sich in sein Bewusstsein eindrückte, graviert er mit tiefem Strich ins Papier. Seine "Königin Elisabeth" ist eine mächtige, von breitem Haifischlächeln und überdimensionaler Krone dominierte, farbig schrille Frau.
"Es ist gewissermaßen ein Treffer im Vorbeischießen", bemerkte Otto Breicha. Hauser dringt unter die Oberfläche. Das Ausdrucksspektrum seiner meist vollbusigen, stark behaarten, mit zähnefletschenden, großen, roten Mündern ausgestatteten Frauen reicht von der ikonenhaft starr bekleideten über die von Graphit eingekreiste bis hin zur Nackten. Ohnmacht, Leid und Aggression liegen nah beisammen, ungefiltert drücken sie sich durch Hausers Hand aus. Krampusse, Schlösser, Fantasiegefährte, Tiere: alles bekommt bei ihm Charakter, geht ans Herz. Wie die kleine, ratlose Eule mit ängstlich hochgezogenen Flügeln.
Die Kunsthalle Krems verzichtet auf Beschriftung, ohne Wissen um Entstehungszeit und Titel wirkt nur das Werk. Kombiniert mit Fotos gelingen wunderbare Wände: so sind Hauser Porträts um den "Kasperl" gruppiert. Der Künstler als Narr? Arnulf Rainer: "Sein angeblicher Schwachsinn hat uns differenzierte, dezidierte, bedenkwürdige Zeichnungen beschert. Er beschäftigt sich mit Freudenfrauen, Konstruktkonstruktionen, Burgenbauten, Gestirnsgebilden usw. Das war auch unsere Knabenwelt. Überraschend ist die Vehemenz ihrer Darbietung. Das vermochten wir nicht. In der Kunst erfreuen vor allem jene, die Neuland entdeckten, rodeten und dort ihren Garten anlegten. Bei Hauser ist das zweifellos der Fall. Der Künstler weht, wo er will, geht wohin er will, und erreicht was er will."
Bis 29. April