CrimesOfTheFuture - © Stadtkino

Horror-Ekel und Bilderrausch – „Crimes of the Future“

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Regisseur David Cronenberg wagt mit seinem Sci-Fi-Thriller „Crimes of the Future“ einen Blick in die Zukunft – und gibt seinen Zuschauern jede Menge vielschichtige Rätsel mit auf den Weg. Doch es lohnt sich, in seinen Schwall an Ideen einzutauchen.

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Regisseur David Cronenberg wagt mit seinem Sci-Fi-Thriller „Crimes of the Future“ einen Blick in die Zukunft – und gibt seinen Zuschauern jede Menge vielschichtige Rätsel mit auf den Weg. Doch es lohnt sich, in seinen Schwall an Ideen einzutauchen.

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Man nennt ihn schon lange den „Meister der Perversion“: David Cronenberg, inzwischen 79 Jahre alt, legt mit seinem ersten Film seit 2014 eine neue Messlatte innerhalb seines Schaffens, denn „Crimes of the Future“ ist nicht weniger als die Anrufung einer Zukunft, in der – wir ahnen es – die Menschheit wieder einmal an den Rand ihrer Existenz gelangt, und das treibt allerlei wilde Blüten. Alles hier ist explizit und dennoch rätselhaft. Meisterlich komponiert zu einem entrischen Bilderrausch.

Menschen kreieren in der nicht allzu fernen Zukunft ganz neue Organe in sich selbst, jedoch könnten das auch Tumore sein, jedenfalls aber sind diese Organe tätowiert, und zwar schon im Körper. Dafür sorgt die Unfallchirurgin Caprise (Léa Seydoux), die das an Saul Tenser (Viggo Mortensen) erprobt. Es ist eine Art High-Speed-Evolution, die Cronenberg hier entwirft: Die Menschen haben keine Schmerzen mehr, Viren und Bazillen können ihnen nichts mehr anhaben. Cronenberg schrieb das Drehbuch zu „Crimes of the Future“ bereits 1998, zu einer Zeit, als man sich die Problematiken der Menschheit nicht in dem Ausmaß vorgestellt hat, wie wir ihnen heute gegenüberstehen. Unter diesem Vorzeichen ist „Crimes of the Future“ wahrlich ein wegweisender Film.

Operationen sind der neue Sex

Im Setting dieser Organzüchtung spielen herkömmliche Sinnesvergnügen wie Sex keine Rolle mehr: „Surgery is the new sex“, heißt es hier. Operationen sind der neue Sex. Und so geht es auch recht blutig zu in „Crimes of the Future“, in dem die Skalpelle des Öfteren Benutzung finden. Das kann man als Kritik am Beautywahn der Gegenwart lesen, aber auch als Ekel-Horror, bei dem der Körper Organe bilden kann, von denen er noch nicht weiß, wofür sie zu gebrauchen sind.

Cronenbergs Film ist schwarze Komödie wie Film noir gleichermaßen, es gibt Suspense und Wortwitz, und das Konzept von der „inneren Schönheit“ bekommt eine ganz neue Dimension. Sicherlich kein Film, den man als Berieselung rezipieren kann, und schon gar nicht kann man ihn auf die leichte Schulter nehmen: Dafür sind seine Ideen und Einfälle zu komplex und zu vielgestaltig, als dass er sich einem sofort erschließt. Für Cronenberg ist das Sammelsurium an Themen, die sein Film (leider nur) anschneidet, heute aktueller denn je: Es ist ein Stoff, dessen Zeit erst kommen musste. Cronenberg nutzt den Vorteil, dass die Themen, die die Gegenwart erobert haben – und die so beängstigend sind, weil sie Bruch, Veränderung und Entwicklung implizieren –, auch die Themen sind, um die sich seine Filmografie dreht: die Verwandlung von Körpern, Identitäten und die physischen, psychologischen und moralischen Implikationen von Veränderungen.

Selbst für Cronenberg-Kenner ist „Crimes of the Future“ ein schwer fassbarer Film; es ist nicht das erste Mal, dass er im Duktus und in seiner Sprache übertreibt, um seinen Ideen eine Grundlage zu geben, um aufzuzeigen und zu sagen: Hier, das ist unsere Zukunft, wir müssen uns damit auseinandersetzen! Dazu benutzt Cronenberg geradezu einen Schwall aus Worten, die man in Kombination mit den Bildern auf sich wirken lassen möchte, doch dafür gibt einem der Regisseur nie ausreichend Zeit. Eintauchen in diese, in Cronenbergs Zukunft, das ist mit Arbeit verbunden. Aber es lohnt sich.

Der Autor ist Filmjournalist.

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