Freud hat uns Gewarnt

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Der kanadische Regisseur David Cronenberg nimmt sich in | "Eine dunkle Begierde“ der Anfänge der Psychoanalyse an.

In "Eine dunkle Begierde“ berichtet Regisseur David Cronenberg anhand der verknüpften Lebensgeschichten von Susanna Spielrein, Carl Gustav Jung und Sigmund Freud von der Geburt der Psychoanalyse.

Die Furche: Ihrem Film liegt Christopher Hamptons Theaterstück "The Talking Cure“ zugrunde. Was hat Sie am Thema gereizt?

David Cronenberg: Der Reichtum dieser Ära, jenes Moments in der Geschichte unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Damals hatte man noch Illusionen über den menschlichen Fortschritt, die durch den Ersten Weltkrieg zerstört wurden. Besonders in Wien dachte man, das Reich sei stabil, es würde keine Kriege mehr geben, und jedes Problem könne durch rationale Diskussion gelöst werden. Aber Freud sagte: "Das ist eine Illusion: Unter der dünnen Schicht der Zivilisation liegt ein fürchterliches Potenzial für Brutalität und Grausamkeit.“ Und das hat sich als Tatsache erwiesen, bis heute: Sehen Sie sich an, was vor wenigen Jahren im Kosovo geschehen ist! Dabei war es doch noch gar nicht so lange her, dass man im Herzen Europas Massenmord und Genozid erlebt hatte. Wie konnte das wieder passieren? Freud würde sagen: "Ich habe euch gewarnt, ihr wolltet nicht auf mich hören!“

Die Furche: Im Streit zwischen Sigmund Freud und C. G. Jung, welcher Seite fühlen Sie sich näher?

Cronenberg: Als Filmemacher muss ich alle meine Figuren lieben. Aber was meine persönlichen Ansichten betrifft, die sind näher an Freud. Einer der Gründe dafür ist, dass er nie die Realität des menschlichen Körpers aus den Augen verlor. Über Vaginas und Penisse zu sprechen war damals tabu, und doch hatte jeder Genitalien - warum also sollte man nicht darüber reden? Die Psychoanalyse ist sehr körperorientiert. Eines der Dinge, mit denen sich Freud befasste, war der sexuelle Missbrauch von Kindern durch ihre Eltern, Inzest. Er kam darauf, weil manche seiner Patienten seltsame Fantasien und Ängste hatten, in der Analyse wurde ihm klar, dass diese Menschen von ihren Vätern oder Müttern oder Verwandten sexuell angefasst worden waren. Die Psychoanalyse ist verwurzelt in der Realität des Körpers, und damit meine ich auch die Familie.

Die Furche: Lag darin der Bruch mit Jung begründet?

Cronenberg: Ich glaube, Freud erkannte, was Jung im Begriff war zu tun, nämlich vor dem Körperlichen zu flüchten. Wenn man beginnt, über Transzendenz und Spiritualität und die Seele zu sprechen, versucht man den Körper zu negieren, und das Problem wird zu einer religiösen Angelegenheit. Das passierte mit Jung: Er wurde vom Mediziner zum religiösen Führer. Das bedeutet nicht, dass nicht manche Menschen diesen Ansatz als hilfreich empfinden. Es ist aber nicht mein Weg.

Die Furche: Was hat Sie an der Psychoanalyse interessiert?

Cronenberg: Ich finde es grundsätzlich faszinierend, sein Privatleben komplett einer fremden Person anzuvertrauen: "Hier ist alles zu meinem Sexleben, meinem innerem Leben, zu meinen Träumen und Ängsten. Helfen Sie mir, mich zu verstehen!“ Was ein Künstler macht, ist letztlich dem sehr nahe, was ein Psychoanalytiker tut. Beide hinterfragen die offizielle Realität: Ist das wirklich das, was uns motiviert, oder gibt es etwas Darunterliegendes, Verborgenes?

Die Furche: Wie wichtig war es Ihnen, in Wien zu drehen?

Cronenberg: Wenn man einen Film über Menschen macht, die wirklich gelebt haben, hat man den Wunsch, sie wiederauferstehen zu lassen. Dafür war das Drehen an Freuds Wirkungsstätte essenziell: Wo er im Belvedere spazieren ging, die Art von Cafés, die er gerne besuchte. Es wäre auch für unsere Schauspieler ein Verlust gewesen, nicht die Stufen hinaufgestiegen zu sein, die Freud hinaufstieg zu seiner Wohnung, und die Jung hinaufstieg, als er ihn besuchte. Natürlich konnten wir nur das drehen, was noch existiert, aber die Berggasse 19 gibt es ja noch. Und dieser Ort vermittelt ein ganz besonderes Gefühl.

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