Das sind wir! Sind wir das?

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Lange Nacht mit Sigmund Freud zur 150. Wiederkehr seines Geburtstags.

Sigmund Freud ist der weltweit bekannteste Österreicher, der nicht von der Musik her kommt.

Sein Lebenswerk, sagt Thomas Mann, gehört zu den wichtigsten Bausteinen "zum Fundament der Zukunft, dem Hause einer klügeren und freieren Menschheit".

"Sigmund Freud hat die Menschheit klarer über sich selbst gemacht." Klarer, sagt Stefan Zweig, "nicht glücklicher". Freud hat "das Weltbild vertieft". Vertieft, "nicht verschönert". Das lässt sich verändern, das lässt sich korrigieren - aber es lässt sich nicht mehr zurücknehmen.

Nicht die Psychoanalyse ist neu, sagt Arthur Schnitzler, sondern Freud. Er hat weniger Entdeckungen gemacht, als sie zum ersten Mal präzise formuliert: die Bedeutung des Unbewussten, die Verdrängung und andere Abwehrmechanismen, die Fehlleistungen, die Sublimierung, die Theorie des Traumes, die Triebtheorie, die Bedeutung der Sexualität seit dem frühen Kindesalter, die Neurose, die Hysterie, den Ödipuskomplex.

Er hat das herkömmliche Selbstverständnis des Menschen radikal in Zweifel gezogen. Den "narzisstischen Kränkungen der Menschheit", der kosmologischen durch Kopernikus (der Mensch ist nicht der Mittelpunkt der Welt), der biologischen durch Darwin ("Der Mensch ist nichts anderes und nichts besseres als die Tiere") fügt er die psychologische Kränkung hinzu, "dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus".

Das Problem der Akzeptanz von Freuds Werk liegt in der Humorlosigkeit des Umgangs mit seiner Theorie.

Satire und Ironie, Witze und Späße auf Kosten der Psychoanalyse werden von der Gemeinde der Jünger und Nachfolger nur ungern zugelassen. Oder die Polemik gegen Freuds Theorien und Entdeckungen wird so ernsthaft aggressiv vorgetragen, dass es ebenfalls nichts zu lachen gibt.

Die Zeitgenossen dagegen, die Künstler und prospektiven Patienten, haben sich bis in unsere Tage an Freud gerieben und Funken des Spotts und Flammen der errötenden Betroffenheit entzündet. Das reicht von Karl Kraus (bis zum Überdruss zitiert: "Die Psychoanalyse ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.") bis zu Woody Allen (im Film zerwirft sich Zelig mit Freud, weil der den Penisneid nur auf Frauen beschränkt wissen will), von Franz Blei ("Hütet die Lust vor den Ärzten") bis zu Kurt Tucholsky ("Jede Frau, die in die Epoche passt, / hat schon mal ihren Vater gehasst.").

Es kommt aber noch ärger: Schlimm komisch sind die Huldigungen der berühmten Autoren, die sich zu Fest-und Prunkreden veranlasst fühlten und dabei in jedes mögliche Fettnäpfchen traten, was Freud auch höhnisch vermerkte. Dazu gehören Literaturheroen (Thomas Mann) ebenso wie Auflagengiganten (Stefan Zweig). Freuds trockene Kommentare zu solchen Hommagen sind Zeugnis dafür, dass er seine Wahrheit nicht nur rigoros vertrat, sondern auch für Spott sorgte.

Keine andere Theorie ist mit ihrem Wortschatz so tief in die Alltagssprache der Völker der Welt eingedrungen wie die Seelenanalyse.

Keine andere Philosophie hat so sehr das Bewusstsein des Menschen von sich selbst verändert.

Kein anderer Wissenschaftler ist so oft zur "Figur" in Kunst und Medien geworden.

Österreichische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Künstler und Wissenschaftler lesen Texte und Briefe, Huldigungen und Widersprüche, Satiren, Polemiken und Hommagen, die seit mehr als hundert Jahren von und über, an und gegen Freud geschrieben worden sind. Sie erinnern in einer langen Sigmund-Freud-Nacht an die hundertfünfzigste Wiederkehr seines Geburtstages. Sie legen Zeugnis ab darüber, was er gilt und wie er wirkt.

(Reinhard Urbach)

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