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Der Vergessene

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Er, Sigmund Freud, stammte aus der berühmten südmährisdien Ecke, die der Welt viele große Männer geschenkt hatte: Karl Renner, Adolf Schärf, Clemens Maria Hofbauer, Thomas Garrigue Massaryk, Thomas Batä, František Palacky, Stefan Zweig. Es waren Tschechen, Deutsche, Slowaken und Juden, die aus diesem Winkel kamen und fast alle über den Weg von Wien groß wurden. Wien war der Boden, der das zur Entfaltung brachte, was in ihnen steckte. Fast jeder von ihnen wurde weltberühmt, am berühmtesten wohl Sigmund Freud, der vor 30 Jahren in London in der Emigration verstarb. Lange Zeit hatte die Welt die Lehre von Sigmund Freud „verdrängt”. Inmitten . einer sehr materialistisch denkenden Welt sprach er vom Geist und war dadurch schon suspekt. Seine medizinischen Kollegen wollten es nicht wahrhaiben, daß viele Krankheiten auf seelische Ursachen zurückgehen. Und da Freud seine persönliche atheistische Weltanschauung in seine Lehre hineintrug, hatte er Christen aller Schattierungen gegen sich. Dazu kamen Kämpfe mit seinen Schülern, die an Religionskriege erinnerten. Alle diese Dinge sind heute längst vergessen, und was wesentlich an der Lehre Freuds und echt an ihr ist, hat sich durchgesetzt in der ganzen Welt. Besonders die angelsächsische Welt und hier wieder die USA schwört auf die Lehre von Freud. In allen Ländern, die katholisch waren oder sind, hat sich die Anerkennung seiner Lehre viel zögernder und später durchgesetzt. Vergessen darf.

Jede österreichische Zeitung hat nach den geltenden Gesetzen einen Eigentümer, einen Herausgeber und einen Verleger. Und natürlich einen verantwortlichen Redakteur. Sehr oft sind Eig.enr tümer, Herausgeber und Ver- •kttWs-? s fe e nhPmorv.- • besonder , dann, wenn es sich um eine juristische Person handelt. Manchmal sind auch Herausgeber und Chefredakteur ein und dieselbe Person (z. B. Dr. Funder). Herausgeber, Eigentümer und Verleger einer Zeitung treten selten vor die Öffentlichkeit. Für viele Leser einer Zeitung ist diese identisch mit der Redaktion, und viele Leser sind der Meinung, daß sich diese Redaktion weder vom Eigentümer, Herausgeber und Verleger etwas sagen lassen muß. Dabei sagt das Gesetz ausdrücklich, daß der Herausgeber die Richtung des Blattes bestimmt, während der Chefredakteur entscheidet, welche Artikel im einzelnen aufgenommen werden sollen.

Als vor kurzem die Eigentumsverhältnisse an der großen österreichischen Tageszeitung „Die Presse” der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurden, wobei ohnedies jedermann weiß, daß der Wirtschaftsbund Anteile an dieser Zeitung besitzt, wurden Stimmen laut, die die Unabhängigkeit der „Presse” gefährdet sahen,. Nun ist es doch evident, daß ein Eigentümer auch ein Interesse daran haben darf, daß das von ihm finanzierte Organ in einer bestimmten Richtung redigiert wird und nicht Artikel erscheinen, die gegen die Anschauungen des Geldgebers sind. Es ist doch wohl selbstverständlich, daß in einer katholischen Zeitung keine Artikel gegen die katholische Kirche erscheinen und in einer sozialistischen Zeitung keine Artikel gegen die Sozialistische Partei. Die Eigentümer würden sich mit Recht bedanken, wenn solche Dinge geschehen würden.

auch nicht werden, daß eine Behandlung nach der Methode Freud sich meistens nur reiche Leute leisten können und viele Komplexe ja überhaupt nur in einer Welt der Saturierten entstehen.

Wien, diese Stadt, die Freud groß gemacht hat, und die an seinem Ruhm partizipiert, hat sehr lange von ihm nicht Kenntnis genommen. So wie Wien fast niemals von den Revolutionären Kenntnis nahm, die in ihren Mauern lebten und wirkten, mag es sich um Stalin, Trotzki, Ma- saryk, Pilsudski, Mussolini, Gottwald und andere handeln. Dazu kommt der Charakter der Bewohner dieser Stadt, die die Psychoanalyse unwirksam macht. Jeder erzählt jedem Fremden sofort sein ganzes Leben.

Erst der ungeheure Erfolg, den Freud in der ganzen Welt fand, bewog auch Wien, ihm schüchtern ‘seine Reverenz zu erweisen. Seit einiger Zeit befindet sich eine kleine Marmortafel an dem Haus in der Berggasse im 9. Bezirk, in der Freud fast vierzig Jahre lebte und wirkte. Seine Ordination soll nun als eine Art Museum eingerichtet werden und ein kleines Denkmal in den Gängen der Universität errichtet werden. So wird endlich einem Vergessenen von seiner eigentlichen Heimat die verdiente Ehre erwiesen.

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