7129401-1997_18_21.jpg
Digital In Arbeit

Das Fremde wird als das Feindliche empfunden

Werbung
Werbung
Werbung

Das moderne Australien der Zu-wanderer ist im Vergleich zu den traditionellen Kulturen der Aborigines jung. David Malouf schrieb in seinem Roman „Verspieltes Land": „Die Besitznahme war einfach. Ein blutiges Scharmützel begründete des weißen Mannes Macht, und bald darauf bestätigte sie des weißen Mannes Recht und Gesetz."

Der neue Roman „Jenseits von Babylon" handelt um die Mitte des 19. Jahrhunderts, als von Queensland nur die Küste besiedelt war. Die europäischen Siedler sind noch fremd auf diesem Kontinent, auf dem Tiere leben, die sie nicht kennen, eine schwarze Bevölkerung lebt, die sie überhaupt nicht verstehen und wo sich außerdem das Klima völlig vom Gewohnten unterscheidet. Das Gefühl der Fremdheit drückt Malouf dadurch aus, daß eine der zugewanderten Frauen dem Gedanken nachhängt, daß sich hier die Toten besonders einsam fühlen, weil sie die ersten sind, die hier bestattet wurden.

Das Fremde wird als feindlich betrachtet. Malouf zeigt, wie zögerlich sich die Einwanderer auf die neuen Verhältnisse einstellen können, indem er einen Mann schreiben läßt: „Wir haben unrecht, diesen Kontinent als feindselig und unglücksverheißend anzusehen, so daß er nur durch entschlossenen Stoizismus, resolute Entschlossenheit und Willenskraft gestaltet und bewohnbar gemacht werden kann, durch Bäumefällen, Roden, Säen des Saatguts, das wir mitgebracht haben, durch die Einfuhr von Schafen, Vieh, Kaninchen, ja von Vögeln des Himmels. Er ist bereits bewohnbar."

In diese Stimmung der Verunsicherung tritt das Zerrbild eines Weißen. Gemmy, ein junger Mann, der als Kind über Bord eines Schiffes geworfen wurde und von Aborigines aufgezogen wurde, kommt in die Siedlung der Weißen. Dieses wilde Kind spricht schlecht die Sprache der Siedler, es ist voll in die Vorstellungswelt der Aborigines eingebettet. Das Aufeinandertreffen zweier völlig verschiedener Weltbilder gerät Malouf zu einem Panorama des interkulturellen Konflikts.

Eindringlich beschreibt er die sprachliche Problematik. Gemmy kann, auch wenn er seinen Befragern nichts verheimlichen will, für manches keine Worte finden, weil es eben keine Bezeichnungen in der Sprache der Siedler gibt, und wenn er auf ein Wort der Eingeborenen zurückgreift, reagieren die Siedler mit Unverständnis und Empörung, „als sei die bloße Existenz einer ihnen unbekannten Sprache eine Provokation, eine Art und Weise, sie hilflos zu machen". Gebrauchten die Siedler ihrerseits Ausdrücke, die sie von Gemmy zu hören gemeint haben, vernimmt er unter anderem Ausdrücke aus dem Fäkalbereich oder für ihn noch schlimmere Benennungen von Geistern, die nicht, oder zumindest nicht so, benannt werden dürfen.

Für Gemmy wird der Aufenthalt unter den Siedlern zur permanenten Demütigung und dadurch unerträglich. Unter den Siedlern sind nicht wenige, die diese Irritation eines weißen Wilden nicht ertragen und eine Lösung des Problems wollen. Das Problem lösen heißt, die Irritation aus der Welt schaffen. Einer von ihnen spricht aus, was seiner Meinung nach getan werden müßte: „Ist schon komisch, daß keiner das Richtige tut und den Bastard einfach nachts abknallt."

David Malouf verzichtet auf die Bluttat und läßt das wilde Kind, die Provokation in weißer Menschengestalt, die Siedlung verlassen. Es ist, von den Siedlern aus gesehen, aus dem Nichts gekommen und dorthin wieder gegangen. Die Chance auf eine Begegnung, die zu-Verständnis für die Aborigines hätte führen können, wurde nicht wahrgenommen. Der Roman „Jenseits von Rabylon" ist als zweifache Parabel zu lesen, einerseits für wechselseitiges Nichtver-stehen, andererseits für die Suche nach Geborgenheit, nach Heimat. Re-sonders hervorzuheben ist: Der Autor maßt sich nicht an, über Aborigines und ihre Kulturen berichten zu können, daher vertritt sie in der Begegnung Gemmy, der Weiße.

JENSEITS VON BABYLON

Roman von David Malouf Ubersetzung: Adelheid Dormagen Paul Zsolnay Verlag, Wien 1996 240 Seiten, geb., öS 267r

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung