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Der Elefant und die große Illusion

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Kein Zauberer, der auf sich hält, wird es wagen, vor seinen Hexereien die Tricks preiszugeben. Walt Disney, unangefochtener Träger des Magischen Film-Ringes, wagt es. Er darf es auch. Denn das Vorspiel seines neuen abendfüllenden farbigen gezeichneten Filmes, das den Titel „W a 11 Disneys Geheimnis“ trägt, ernüchtert nicht und reißt nicht aus allen Himmeln, es tischt selber ein neues „Geheimnis“ auf: wie ist es möglich, aus solchen kalten Retorten und Kokereien noch diesen zündenden Funken schöpferischer Phantasie zu schlagen? Der Funken folgt: es ist „Dumbo, der fliegende Elefant“, eines der reizendsten Geschöpfe aus Disneys kosmischem Tiergarten. Tiergarten? Es ist eher ein Spiegelzimmer menschlicher Heiterkeit, Güte und Weisheit. Die mütterliche Sehnsucht der Elefantenmutter, ihr Zornausbruch bei dem Spott der Menschen über ihr langohriges Junges, die Deklas-sierung des Individuums und der Rasse durch die Verwendung Dumbos als Zwergclown und schließlich sein Steg durch den ikarisehen Rausch — alles knappste Formeln für menschliche Sehnsüchte und ihre Erfüllung, alles Ausdruck eines sympathischen, Berge versetzenden Lebenswillens. Dies läßt Walt Disneys kindliche Märchen bisweilen so erschreckend gescheit und erwachsen erscheinen. Ist das »ber nicht bei allen echten und großen Märchen so? Eine Szene etwa, wie der surrealistische Traum Dumbos von dem lockernden, alle irdischen Fesseln abstreifenden Tanz der Artgenossen, wird vielleicht im Kind nur einen unbestimmten Eindruck von Farbe und Bewegung hinterlassen — wir aber spüren mehr dahinter, den Trost der Illusion, den der Film so selten gibt.

Denn es ist nicht eigentlich Trost, wenn ein Film wie „Stärker als Ketten“ einen Oütman durch die Erfindung eines noch exakter tötenden Gewehres die Bedrückung des Kerkers überwinden läßt, wenn „Fräulein Julie“ (nach Strindberg) den trostlosen Abstieg der „gleichmachenden Erniedrigung“ geht, oder gar, wenn sich ein Lustspiel mit 24 Ermordeten („A rsen und Spitzenhaubche n“) über die Nachtseiten des Lebens so lustig macht, daß einem die Gesichtsmuskeln dabei einfrieren. Betäubung, nicht Trost auch der ganze Edel- bis Schundramsch von konfektionierter Heiterkeit und Abenteuerei, chargierter Naturnähe oder naiver Sportlerei (die Namen dafür: „Mein Freund, der Dieb“, „Zwölf Uhr mittags“ und „Die Söhne der drei Musketier e“, „Der Bildschnitzer vom Walsertal“, „2:0 für Marikk a“).

Wer Ohren hat, zu hören... Dumbo, der Elefant, das schwerste, plumpste Tier im „Brehm“, hat sie, groß, so groß, daß die Leichten, Schlanken, aber Blinden (die Menschen) darüber spotten. Aber er träumt die echte, große Illusion: die Wahrheit, nicht die Wirklichkeit. Und am Morgen erhebt er sich, frei und ohne Ketten, in die Lüfte; über sich den blauen Himmel--tief unten die staunend gaffende Menge.

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