Exemplarisches Wiedersehen

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In ihrem Roman "Haus der Kindheit" beschreibt Anna Mitgutsch die Frustrationen vieler zurückgekehrter Emigranten.

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In ihrem Roman "Haus der Kindheit" beschreibt Anna Mitgutsch die Frustrationen vieler zurückgekehrter Emigranten.

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Das Foto stand auf der Kommode, solange Max sich zurückerinnerte. Es machte jede neue Wohnung, in die sie einzogen, zu einem weiteren Ort des Exils." Schon die ersten Sätze des neuen Romans von Anna Mitgutsch führen mitten hinein in eine Erinnerungslandschaft, in der mehr als nur die Vergangenheit symbolisch aufgehoben ist. "Das Haus der Kindheit", ein weißes Gebäude über dem Fluss mit dem venezianischen Löwen auf der Brüstung der Terrasse und die steil abfallende Wiese, "eine summende Wildnis voll flirrenden Lichts". Es wird zum Angelpunkt für die Suche nach gewaltsam Ausgerafftem, ein Prozeß, in den Mitgutsch das Ausloten von Fremde und Heimat, Vergessen, historischer Schuld und Verdrängung hineinwebt.

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Max. Als kleines Kind emigriert er mit seinen jüdischen Eltern nach Amerika und entkommt so dem Holocaust. Was Max aus Europa mitnimmt, ist eine schmerzlich belichtete Erinnerung an den Familiensitz und seine Bewohner. Später, irgendwann wird er stellvertretend für die Mutter das Haus zurückfordem und restaurieren. An diesem Gebäude und an der Kleinstadt H. hängen nun wichtige Fäden des Romans, daran knüpfen sich die Themen der Geschichte, die Anna Mitgutsch hier auf der Folie einer Reise in die Nachbilder der Vergangenheit positioniert.

Max' Kindheit ist nach der Scheidung der Eltern geprägt von Armut und dem Unvermögen seiner Mutter, sich mit ihrem neuen Leben zu arrangieren. Die Deportation engster Verwandter in Konzentrationslager kappt die letzte Bindung an Europa. Pure Verzweiflung franst später in stumme, unerfüllbare Sehnsucht aus. Mira gelingt die Assimilation in der Fremde nicht, nicht einmal, als sie "von einem Tag auf den anderen in die fremde Sprache wechselt". Für den Sohn ist der Ort des Exils bereits zur neuen Heimat geworden. Er hat sich in New York als Restaurator und Kunstexperte einen Namen gemacht. Max ist ein "Ästhet", ein "Augenmensch", der sogar seine zahllosen Beziehungen zu Frauen als Kunst kultiviert. "Ein flatterhafter Demokrat der Vielfalt, ein Sammler, der seine Entdeckungen grenzenlos bewunderte und sie dennoch nicht besitzen wollte."

Mitgutsch hat in diesem Buch eine sensible Hand bewiesen. Es ist hier die Perspektive des Sohnes, die sie primär interessiert, der Umgang der jüngeren Generation mit einer gnadenlosen Vergangenheit, die sich zunächst als diffuse Frage nach den Wurzeln in das Leben schleicht.

Und gerade auch mit der Rückkehr in die Geburtsstadt thematisiert Mitgutsch eine typische Emigrantenerfahrung: "Es war nicht mehr die Stadt, die seine Mutter gekannt hatte, auch nicht die, aus der man einst seine Verwandten abgeholt hatte, aber sie war das Gehäuse, das alle diese unsichtbar weiterlebenden Städtebilder umschloss. Und etwas Unverwechselbares war ihr geblieben. Nie würde sie sich von Grund auf, in ihrem Wesen ändern." Subtil öffnen sich die Schleusen der Fremdheit und Distanz. Eine Kleinstadt: eng, lähmend, belastet mit einer von manchen immer noch unbegriffenen Vergangenheit.

Anna Mitgutsch stößt mit diesem Buch in ein ebenso schnell wie schlecht vernarbtes Stück österreichischer "Geschichtsbewältigung". Zwischen vermoosten Dächern, schorfigen Mauerwunden und romantischen Laubengängen tun sich bekannte Phänomene auf: der verwässerte Blick auf den Rassenwahn, das Trauma des Verdrängens. Max hebt in H., wo immer wieder Orte und Plätze an Vertreibungen erinnern, Scherben der Vergangenheit auf, persönliche und die einstiger jüdischer Bewohner. Für die Dokumentation dieser "ausgeblendeten Geschichte" macht sich Mitgutsch den Kunstgriff der Chronik zunutze. Historisches Material wird als Bericht aus der Feder von Max in die Romanhandlung integriert. Und darüber hinaus erweist sich Mitgutsch einmal mehr als virtuose Erzählerin. Die suggestive Kraft dieses Romans zieht den Leser tief hinein in eine fesselnde Lebensgeschichte.

Dabei ist es ein besonnener, stark poetischerDuktus, der diese Prosa trägt. Manchmal atmet fast schon milde Resignation in ihrer Welt. Anna Mitgutsch lässt ihren Text über den Trauerrand hinausfließen. Die Blickrichtung der einzelnen Romanfiguren macht deutlich, daß es hier vor allem auch um die Komplexität von Verwurzelungen, Zugehörigkeiten, um kulturelle Identität und Gefundenes geht. Da ist etwa Spitzer, der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, der die Stadt trotz allem nie verlassen konnte, oder Max' ruhelose einstige Geliebte Nadja, das "Kuckucksei", das hartnäckig um Aufnahme kämpft. Mitgutsch gelingt dabei eine einfühlsame Beschreibung der jüdischen Kultur und der jüdischen religiösen Feiern.

Bleibt schließlich ein diffiziler Erkenntnisprozeß. Zeit und Ort haben den Sehnsuchtstraum langsam ausradiert. Eine Reflexion der Vergangenheit - noch immer imprägniert mit Aktualität. Auch Max durchflutet angenehme Wärme, als ihn das Flugzeug wieder zurückbringt. Nach New York.

Haus der Kindheit. Roman von Anna Mitgutsch Luchterhand Literaturverlag, München 2000. 334 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,15

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