Das Exil der zweiten Generation

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Anlässlich der internationalen Tagung über österreichische Exilliteratur: ein Essay über Leben und Werk der Kinder und Enkel der nach dem Weltkrieg zurückgekehrten jüdischen Exilanten, ihr Gefühl der Unzugehörigkeit und ihre schriftstellerische Verarbeitung der Shoah als Beitrag zum europäischen Judentum in einer post-nationalen Gesellschaft.

F riedrich Torberg hat sich gern halb ironisch als #Jud vom Dienst# bezeichnet und bedauert, dass er in dieser Rolle auf dem letzten Posten stehe. Als jüdischer Remigrant wollte er die österreichische Kultur ab den frühen 50er-Jahren nicht nur mitbestimmen, sondern auch selbst dazugehören. #Unzugehörig# lautet dagegen der Titel des programmatischen Essays der Torberg-Verehrerin Ruth Beckermann von 1989 dem sogenannten Wende-Jahr. Mit #Unzugehörig# beschrieb die Autorin das Verhältnis der Juden ihrer Generation zu Österreich unter dem Eindruck der Waldheim-Affäre. Unzugehörig fühlte sich die Generation von Juden, deren Eltern nach 1945 aus dem Exil zurückgekehrt bzw. auf der Durchreise nach Israel oder die Vereinigten Staaten in Österreich #hängengeblieben# waren, auch durch den bis 1987 hartnäckig verteidigten Mythos von Österreich als #erstem Opfer Hitlers#. Anders als ihren Eltern steht es Ruth Beckermann, Robert Menasse, Eva Menasse, Anna Mitgutsch, Doron Rabinovici, Robert Schindel oder Vladimir Vertlib # um nur einige der bekanntesten zu nennen # allerdings offen, aus diesem Gefühl der Unzugehörigkeit Konsequenzen zu ziehen: Es überrascht daher nicht, dass mehrere von ihnen zumindest einen Teil des Jahres im Ausland leben. Von außen schärfen sie ihren Blick auf Österreich; aber selbst in Österreich leben sie als Folge der Shoah sozusagen in einem exterritorialen Raum. Darin erweisen sich die jüdischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen im heutigen Österreich als wahre Erben der Exilanten.

Der Ausdruck der Fremdheit

Der 1951 nach Österreich zurückgekehrte Torberg ließ in seinen Anekdoten rund um Die Tante Jolesch die Kaffeehauskultur der Jahrhundertwende wiedererstehen. Mit Nostalgie versuchte er das Gefühl seiner Unzeitgemäßheit und Fremdheit im Nachkriegsösterreich zu bannen.

Die Erfahrung der Fremdheit erfasst aber auch die bereits im Exil geborenen Kinder von Exilanten. #Fremdheit#, meint der Protagonist in Robert Menasses Roman #Sinnliche Gewissheit# (1996), #ist unter Umständen etwas, das nicht am Ort liegt, an dem man sich befindet, etwa weil er weit weg ist # weit weg von wo? Nicht wahr? #, sondern an der Zeit, die immer falsch ist, die man immer falsch empfindet, weil sie so provisorisch kurzlebig ewig in sich rotiert.# Aufgrund der #Exterritorialität# ihres Daseins gelingt es den Exilanten nicht, ein synchrones Verhältnis zu ihrer Mitwelt aufzubauen. Ständig fühlen sie sich entweder zu spät dran oder zu früh.

Für die jüdische Generation, die nach der Shoah geboren heute in Deutschland lebt, hat Michal Bodemann 2005 nachgewiesen, wie sie geografische Verortung in eine zeitliche übersetzt und dafür den Begriff #Geografie der Zeit# vorgeschlagen. Freilich ist Jerusalem seit dem Exodus ein Ort, der für die Juden in der Diaspora immer schon in der Zukunft lag. Mit der Shoah sind für Juden in Deutschland (und in Österreich) aber auch ihre alltäglichen Orte buchstäblich zu Aufenthaltsorten, zu Orten in der Zeit geworden.

Exterritoriale Gebiete

Wie die Protagonisten in Vladimir Vertlibs autobiografisch gefärbter jüdischer Migrantengeschichte, #Zwischenstationen# (1999), sitzen sie auf den gepackten Koffern. Auf den Begriff bringt diesen Sachverhalt Anna Mitgutsch im Titel eines ihrer Romane: Im Haus der Kindheit kommen für Max Zeit und Ort nicht zur Deckung. So sehr er es umbaut, als zurückgekehrter Erwachsener bleibt er fremd im Haus seiner Kindheit. Genauso kann Viktor Abravanel in Robert Menasses #Die Vertreibung aus der Hölle# aufgrund seiner marranischen #Vorfahren#, die ihm den #fremden# Namen vererbten, in seiner Wiener Umwelt nicht heimisch werden.

Es gibt in den Romanen der zweiten Generation aber auch Orte, die durchaus mit der Zeit identisch sind. Es handelt sich um exterritoriale Gebiete, Reservate sozusagen, in denen die Gesetze der Mitwelt nicht gelten. Die Familie in den Romanen von Eva Menasse und Anna Mitgutsch ist so ein Ort, wie auch das Kaffeehaus oder der Wiener Naschmarkt in Doron Rabinovicis #Ohnehin# (2005). Händler und Konsumenten, Türken und Zyprioten, Juden und Serbokroaten existieren dort in diasporischen Welten, durch die unterschiedlichsten #Geografien der Zeit# geprägt, die ihre Exponenten ständig dazu auffordern, ein neues Miteinander zu verhandeln.

Die Welt nach der Shoah

Es ist die Grunderfahrung der von Beckermann beschriebenen Unzugehörigkeit, die die jüdischen Schriftsteller und Schriftstellerinnen mit den von den Nationalsozialisten aus Österreich vertriebenen Autoren teilen und die sie in ihren Werken mit ähnlichen Strategien wie jene sichtbar machen. Damit leisten sie einen spezifischen Beitrag zur Konstruktion jener #dritten Säule des Judentums neben Israel und den USA#, die das europäische Judentum nach der Shoah und in einer post-nationalen Welt, laut der Historikerin Diana Pinto, heute darstellt. Israel und die Vereinigten Staaten kommen auch durchaus in den Blickwinkel der in Österreich lebenden jüdischen Autorinnen und Autoren. Beide Länder, die heute darin konkurrieren, Hort authentischen jüdischen Lebens zu sein, treten als Handlungsplätze in den Romanen auf und bestimmen deren Thematik. Zwei recht unterschiedliche Beispiele mögen hier stellvertretend für andere gelten: Doron Rabinovicis #Suche nach M.# (1997) und Anna Mitgutschs #Abschied von Jerusalem# (1995). Rabinovicis Wurzeln liegen in Israel. Nach Wien kam er als Dreijähriger mit den Eltern und lebte dort #in einem Provisorium#, in dem er sich nach und nach einzurichten lernte. Israel versteht er heute nicht mehr nur als existentiellen Fluchtpunkt, sondern als einen solchen der Kultur. Israel bestimme zwar #die Perspektive jüdischen Denkens#, habe damit aber gleichzeitig das Selbstbewusstsein der jüdischen Diaspora gestärkt: #Die alte Galut mag überwunden sein, doch eine neue ist erstanden.# In Suche nach M. erscheinen Wien und Tel Aviv gleichberechtigt als (un)mögliche Lebensorte für die Söhne von Überlebenden der Shoah; an keinem der beiden entkommen sie den unerledigten, nicht artikulierten Erinnerungen ihrer Väter an die Verfolgung. Weder in Wien noch in Tel Aviv hilft ihnen ihre Umgebung, damit fertig zu werden.

Faszination für Israel

Dvorah dagegen, die Ich-Erzählerin und Protagonistin in Anna Mitgutschs Roman #Abschied von Jerusalem# sucht Israel nicht auf, um wie Arieh Fandler/Scheinowitz, der Protagonist in Rabinovicis Roman, dort der ererbten Vergangenheit zu entkommen, sondern um sich ihre soeben errungene jüdische Identität zu bestätigen. In Familienfest (2003) porträtiert Mitgutsch die Amerikanisierung an den Nachkommen einer ostjüdischen Einwandererfamilie und ihren Kampf um die Erhaltung einer jüdischen Identität. Diese ist freilich beschränkt auf den privaten Bereich und angewiesen auf die Tradierung von Ritualen. Mitgutsch, die erst als Erwachsene zum Judentum konvertierte, vermittelt in ihren Romanen die Faszination, die Israel und jüdische Folklore auf sie ausüben.

Es verwundert nicht, dass keiner der genannten Autoren und keine Autorin in Israel lebt. Mit Torbergs Ansicht von 1946, wonach ein Jude nicht in Palästina sein, sehr wohl aber für Palästina sein müsse, können sie sich aber durchaus identifizieren. Nachdrücklicher als Torberg dies gelang, haben sie sich in der Exterritorialität eingerichtet und damit eine neue jüdische Literatur in deutscher Sprache geschaffen, von der Torberg nicht einmal zu träumen wagte.

* Die Autorin ist Professorin für deutschspr. Literatur an der Universität Southampton

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