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Eine späte Wiederentdeckung

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Der Wiener Schriftsteller Sorna Morgenstern war bisher, wenn überhaupt, vor allem als Kulturkorrespondent der „Frankfurter Zeitung" von 1928 bis 1938 bekannt. Sein erzählerisches Hauptwerk ist die Roman trilogie „Funken im Abgrund", die nun, 20 Jahre nach dem Tod des Autors, erstmals geschlossen auf deutsch vorliegt. Der erste Band erschien noch 1935, vermittelt von Stefan Zweig, in Berlin unter dem Titel „Der Sohn des verlorenen Sohnes. Ein jüdischer Boman" und wurde von der Kritik begeistert aufgenommen. Der Exilverlag Querido lehnte ihn jedoch ab und den Verlegern Walter Landauer und Fritz Landshoff war er zu jüdisch. Auch nach dem Krieg scheiterten mehrere Editionspläne, in W7ien erschien 1964 „Die Blutsäule. Zeichen und Wunder am Sereth", eine symbolische Verdichtung der Shoah in einem ostgalizischen Ort.

Die 1930 bis 1943 entstandene Trilogie erzählt die Geschichte des jungen assimilierten Wiener Juden Alfred Mohylewski, dessen Vater aus der ostgalizischen Heimat nach Wien floh, sich dem Judentum entfremdete und taufen ließ. Nach dem Tod des Vaters wird er vom orthodoxen Onkel und dessen Verwalter Jankel Christ-jampoler, genannt „Jankel der Goj", die zum Kongreß der orthodoxen Agudath Israel (im Boman der „Kongreß der Gesetzestreuen Juden", der sehr schön geschildert wird) 1928 nach W7ien kommen, mit 20 Jahren nach Dopropolje zurückgeholt. Dort verwirklicht er seine Absicht, nicht weiter wie in Wien als Jud' zu gelten, sondern ein Jude zu werden.

Die Trilogie besticht durch sensible Schilderungen jüdischer Tradition und Lebensweise und ist zugleich eine Analyse der jüdischen Assimilation, die durch Stefan Frankl präsentiert wird, den stellvertretenden Leiter des Allgemeinen Pressebüros in Wien, dem der Ministerialbeamte Martin Fuchs Modell stand.

Der Dialog über Alfreds Großmutter, nach Morgenstern eine rationalisierte Jüdin, die jeden zweiten Satz mit den Worten: „Ich als gute Christin ..." beginnt, sagt mehr als manche seitenlange Untersuchung. Das gilt auch für die Stelle: „Für einen Krakauer Juden ist der Lemberger ein Ostjude. Für den Mährisch-Ostrauer ist es der Krakauer. Dem Wiener Juden gilt der Mährisch-Ostrauer selbstverständlich als ein Ostjude. Und für den Berliner ist gar schon der Wiener ein Ostjude. Man darf annehmen, daß der Pariser Jude den Berliner für einen Ostjuden hält. Weiter geht das Spiel nicht..." Ganz besonders gut assimilierte Juden können sogar „ohne Ressentiment von einem jüdischen Theater begeistert sein".

Die Trilogie enthält Schilderungen des jüdischen Wien, das es nicht mehr gibt, etwa der „Taborstraße, dort, wo die jüdische Leopoldstadt schon so jüdisch ist, -also wo gewissermaßen in Wien schon Galizien beginnt". Zum Thema Antisemitismus legt Morgenstern einem Protagonisten ein aus heutiger Sicht gespenstisches Wort in den Mund: „Wenn ihr Juden euch vor jedem Feind duckt, euch gar so klein macht, euch dafür bei allen entschuldigt, daß ihr auch noch lebt und, wie alle Lebewesen, leben wollt: wird es noch so kommen, daß man euch die Luft zum Atmen verweigert. Denn wer sich selbst klein macht, der wird erdrückt!"

Der dritte Band, „Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes", enthält die Aufzeichnungen von Alfreds Vater, der erklärt, warum er sich seinem jüdischen Erbe entfremdete. Er versucht die Frage zu beantworten, warum er, der sich taufen ließ, und sein Bruder, der orthodox blieb und einer der Gründer der Agudath Israel wurde, sich so verschieden entwickelten: „Er hatte dieselbe Erziehung, dieselben Erlebnisse. Er war denselben Einflüssen, meinetwegen Gefahren, ausgesetzt ... Ist man soweit, einzusehen, Christentum sei nichts anderes als ins Universum ausgestreutes Judentum -und die besten unter den Juden wissen das so gut wie die besten unter den Christen -, ist man soweit, so scheint alles, was dazwischen liegt, ein Streit um die Einkleidung des Unaussprechlichen."

Das gefühlvoll und authentisch geschriebene Werk hat einen einzigartigen Stellenwert in der deutschsprachigen jüdischen Literatur, der auch bereits früher bemerkt wurde. So nannte Leo Hirsch 1934 den ersten Band „den seit langem ersten jüdischen Boman von europäischem Niveau." Auch Gershom Scholem erkannte die einzigartige Konstellation, als er schrieb: Morgenstern hatte eine „viel stärkere jüdische Bindung als ... die meisten der Schriftsteller, in deren Kreisen er in der Zeit vor Hitler verkehrte".

Morgenstern lebte einsam und vergessen bis zu seinem Tod 1976 in New York und kam nie mehr nach Europa oder Wien. Nach der Shoah verfiel er in eine Depression und Schreibhemmung, von der er sich nur langsam erholte. Der Herausgeber der Werkausgabe Ingolf Schulte: „So hat wohl niemand dort und anderswo in Europa ein sonderliches Interesse an seiner Arbeit und seinen Erinnerungen gezeigt. Man hat ihn nicht gebraucht. All dies zusammen hat ihm über Jahrzehnte hin das Schreiben schwergemacht."

Wer mehr über die Welt des Sorna Morgenstern erfahren will, kann dies in den ersten drei Bänden der im Verlag zu Klampen erschienenen Werkausgabe .. Seine Jugend in galizischen Dörfern, wo er als Sohn eines chassi-dischen Rabbiners, der jedoch das Amt nicht ausübte, Gutsverwalters und Thoraschreibers aufwuchs, schildert Morgenstern in den berührenden, 1995 erstmals veröffentlichten Erinnerungen „In einer anderen Zeit. Jugendjahre in Galizien". Seine tiefe Freundschaft mit Joseph Roth oder mit dem hebräischen Lyriker und zionistischen Funktionär Abraham Sonne, der den meisten nur aus der Autobiographie Elias Canettis bekannt ist, beschreibt Morgernstern im 1994 erschienenen Band „Joseph Boths Flucht und Ende". Seiner Freundschaft und Korrespondenz mit Alban Berg, den er als Kulturkorrespondent kennenlernte, ist der Band „Alban Berg und seine Idole" gewidmet.

FUNKEN IM ABGRUND

Romantrilogie von Sorna Morgenslern. pjbj Herausgeber: Ingolf Schulte.

Verlag zu Klampen, Lüneburg 1996. 282, )78 und 396 Seiten, geb, . öS 429,-,})),- und 548,-

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