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Jüdische Utopie und Wirklichkeit

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ALTNEULAND. Von Theodor H e r z I. Authentische Dokument arausgabe mit mehr als 400 Illustrationen. Herausgegeben von Rosa Goldberg und Fanny Seelig. Hans-Deutsch-Verlag, Wien-Basel-Stuttgart, 1962. 218 Seiten. Preis 19 S. — DIE NACHT ZU BEGRABEN, ELISCHA. Romantrilogie. Von Elie Wiesel. Titel der französischen Originalausgaben: „La Nuit“, „L'Aube“, „Le Jour“. Ubertragen von Curt Meyer-Clason. Bechtle-Verlag, München und Eßlingen a. N., 1962. Mit Vorreden von Martin Walser und Francois M a u r i a c. 400 Seiten. Preis 19.80 DM.

Als Theodor Herz 1896 seinen Versuch einer Lösung der Judenfrage „Der Juden-Staat“ publizierte, war er kaum gewärtig, welche Flut von Zustimmung seine Pläne nach der fast völligen und einmütigen Ablehnung beim liberalen Judentum Wiens vor allem in den Ghettos des Ostens finden sollten. Die Stoßkraft, die von Herzls Idee ausging und bereits ein Jahr später den ersten Zionistischen Kongreß entstehen ließ, war so stark, daß er sechs Jahre später in einem Roman eine Utopie des neuen Judenstaates zu geben suchte: „Altneuland.“ Heute empfinden wir den Roman als eine mit einer Fülle von Schlüsselfiguren angereicherte Kolportagegeschichte, die aber in all ihrer Naivität viel echte Prophetie enthält. Hier knüpfen die Herausgeber, unterstützt vom Herzl Centenary Commitee Jerusalem, an und stellen die geschichtliche Entwicklung des politischen Zionismus und des Staates israel dem Roman in dokumentarischen Bildbeispielen gegenüber. Das buch- und drucktechnisch nicht recht geglückte Werk sieht im Endeffekt leider ein wenig nach Propagandaschrift und Werbeprospekt aus. Es wäre wohl auch nötig gewesen, Herzl selbst in einer Einführung vorzustellen, und nicht alles den Unterschriften des Bildteiles zu überlassen.

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Erschütternde, beschämende, bestürzende jüdische Wirklichkeit hingegen liegt in der Romantrilogie „Die Nacht zu begraben, Elischa“ des heute 32jährigen Elie

Wiesel. Der Autor ist als Vierzehnjähriger mit den Eltern, der kleinen Schwester, Freunden und Nachbarn von den Deutschen aus dem siebenbürgischen Sighet verschleppt worden. Mutter und Schwester wurden in Auschwitz vergast; er selbst hat die Hölle von Birkenau, Monowitz und Buchenwald überlebt, hat seinen Vater neben sich sterben gesehen und ist in demütiger Ohnmacht an ihm, an sich und an der Menschlichkeit zum Verräter geworden. Das Buch, mit letzter Ehrlichkeit geschrieben, ist ein einziger Aufschrei. Aber dieser Aufschrei hat — und das ist das Bedeutsame an einem Bekenntnisbuch dieses vielstrapazierten Genres — auch eine Form gefunden. Die Quellen Wiesels liegen tief in der Tradition des jüdischen Glaubens und der jiddischen Dichtung. Heute ist der Autor Literaturkritiker des New Yorker „Jewish Daily Forward“, der größten jüdischen Tageszeitung der Welt. Die Trilogie, die im ersten Teil die deutschen Lager, im zweiten das neu entstehende Israel und im dritten das Amerika von heute zum Schauplatz hat, ist in französischer Sprache geschrieben, da nian Elie Wiesel seine Muttersprache genommen hat. Die literarische, dichterische Leistung ist daher wie im Parallelfall Nabokov doppelt zu würdigen.

Das knappe deutsche Vorwort schrieb sehr richtig Martin Walser; das französische von Mauriac ist — am dichterischen und am Aussagewert de Buches gemessen — für unsere Ohren zu pathetisch.

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