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Der Film und das Gesicht der Welt

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„Die ganze Welt ist ein Hiroshima, das die Bombe noch nicht getroffen hat.“ Mit diesen Worten beschließt der heute erst 40jährige, in Berlin geborene schwedische Journalist Erwin Leiser das Buch zu seinem dritten Dokumentarfilm, den er seinen ersten .beiden, „Mein Kampf“ (1960) und „Eichmann und das Dritte Reich“ (1961), nachgeschickt hat: „Wähle das Leben“ (Hans-Deutsch-Verlag, Wien-Stuttgart-Basel, 1963. 170 Seiten mit 140 Bildern, glanzfolienkaschierter Pappband, Preis 96 S). Gebannt starrt man auf die erdrückende Wucht der Bilder, die nicht alle aus dem Film, sondern auch aus japanischen Archiven und zusätzlichen Aufnahmen während der Dreharbeiten von Hans Heinrich Egger und Erhard Hürsch stammen. Man sieht kaum mehr menschliche Reste aus Hiroshima und Nagasaki, das seelische Leid und die gezeichneten Leiber der Uberlebenden, die Mißgestalten der nach der Katastrophe Geborenen und schließlich Bilder von dem Fischerboot „Der glückliche Drache“, das — elf Jahre „post festum“! — in der Nähe des Bikini-Atolls in den Niederschlag und die Strahlkraft einer Versuchsbombe geriet. Erschüttert legt man das Buch weg, überzeugt von der harten Alternative des Autors: „Zusammen leben können oder zusammen sterben müssen.“

Im gleichen Verlag erschien ein weniger weltbewegendes Büch. Herbert Holba: „O.W.Fischer“ (208 Seiten mit 80 ganzseitigen Bildern. Preis 160 S). Das gut ausgestattete Buch ist textlich nicht sehr bedeutend Sein Schwerpunkt liegt auf den vielen, tadellos reproduzierten Bildern und der Filmographie mit Fischers bisher 60 Filmen, von „Burgtheater“ (1936) bis „Frühstück im Doppelbett“ (1963). Dem Text fehlt leider aller Glanz der Sprache und Gedanken. Auch hat der deutsche Autor ganz und gar kein Gespür für das spezifisch österreichische und den tieferen Urgrund des Wesens und Erfolges der O.-W.-Fischer-Rollen: das Unruhige, Brüchige, seelisch Schlampige einer weitverbreiteten Spezies Mann von heute. Bei einigen Filmen („Hanus-sen“, „Ludwig II.“ und anderen) wäre auch kritischere Distanz angezeigt gewesen. So gut waren sie ja nun auch wieder nicht.

Eine Geschichte des Weltfilms aus dem Blickpunkt der deutschen Ostrone — man spitzt die Ohren, man äffnet die Augen: Horst Knietzsch, ,Film gestern und heute“ (Urania-Verlag, Leipzig-Jena-Berlin, zweite Auflage, 1963. 576 Seiten mit 500 Szenenbildern im Text, Filmo-äraphien von 75 Regisseuren sowie Kurzbiographien und Porträts von 144 Darstellern. Preis 19.80 DM). Wer unbekanntes Material vom russischen Film, vom kommunistischen Dsten und der DEFA sucht, wird licht enttäuscht, denn davon wissen vir im Westen noch immer zuwenig. Leider fehlt auch diesem ;rocken geschriebenen Buch der stilistische Elan, so daß auch selbständige monographische Kapitel, wie das über Chaplin, brav von sadoul abgeschrieben, nicht blitzen ind donnern, geschweige denn einschlagen. Natürlich existieren für len Autor auch nicht Filmösterreich, Willi Forst, Paula Wessely, ,Die letzte Brücke“ und anderes, iber hierin sind die westdeutschen Kollegen unseres wackeren Ost-listorikers nicht eben freundlicher ind sachlicher...

Die rollende Lawine der Dreh-juchveröffentlichungen geht weiter. Der deutsche Taschenbuchverlag München erfaßt mit dtv-Sonder-:eihe Nummer 21 (168 Seiten, Preis 2.50 DM) zwei Filme des viel-liskutierten Polen Jerzy Kawalero-vicz: „Mutter Johanna von den Ingeln“, dessen Text bei allen Un-iequemlichkeiten für den Katho-iken nicht eigentlich ein atheistischer Dolus abzulesen ist, und „Nachtzug“, ein Psycho-Krimi-Thriller, der von Graham Greene sein könnte.

Drehbücher aus den Jahren 1913/14? Ja, das gibt es tatsächlich. Kurt Pinthus hat Dichter und Schriftsteller der Vorkriegszeit eingeladen, „Kinostücke“ zu schreiben, den Einlauf schon damals in einem „Kinobuch“ herausgegeben und jetzt eine dokumentarische Neuausgabe im Verlag der Arche, Zürich, veranlaßt: „Das Kinobuch“ (158 Seiten, Preis 14.80 DM). Lesenswert die Beiträge von Hasenclever, Else Lasker-Schüler, Max Brod, Arnold Höllriegel, beherzigenswert aber auch der von tiefem Skeptizismus erfüllte (ahnungsvolle!) Brief Franz Bleis. Das Buch von Pinthus bildet den Band 4 einer „Sammlung Cinema“ des Arche-Verlages (der wir bekanntlich auch die Neuauflage des großen „Iros“ verdanken). Band 5 dieser Reihe ist Serge Eisensteins „Erinnerungen“ gewidmet (224 Seiten, Preis 14.80 DM). Sie sind brillant geschrieben und rücken ein großes Kapitel der Filmgeschichte ins Licht, da und dort erstmals ins richtige!

Bertold Brechts „Die Dreigroschenoper“ (ro ro ro-Taschen-buch Nummer 592, 128 Seiten, Preis 15.90 S) ist nicht das Drehbuch des ersten oder zweiten Films, sondern die Bühnenfassung; hier sei sie angeführt, weil es für den Filmfreund überaus aufschlußreich ist, die Abweichungen von der Bühnenfassung, vor allem aber die gesanglichen Zugaben des Pabst-Filmes festzustellen.

Eine originelle Publikation ist Ernest Prodolliets „Lexikon des Wilden Westens — Geschichte und Filme“ (Sanssouci-Verlag, Zürich 1963. 160 Seiten, Preis 11.80 DM). Den zumeist, aber nicht ausschließlich geographischen Stichwörtern folgt jeweils eine Handvoll Wildwestfilme. Den Schluß bildet eine Liste ganz besonders berühmt gewordener „Westerner“. Zu diesem Buch werden nicht nur junge Freunde von Indianerbüchern und -filmen greifen. Es ist auch eine seriöse kleine Kulturgeschichte für ältere Interessenten von Amerikas „Nibelungenlied“.

Enttäuschen muß den Fachmann Deena Boyers an sich so verlockender Versuch, als Kiebitz an einem Fellini-Film festzuhalten, wie dieser sonderbare Magier des Realismus arbeitet — und „wie er sich räuspert, wie er spuckt“. „Die 200 Tage von 8% oder: Wie ein Film von Federico Fellini entsteht“ (ro ro ro-Taschenbuch Nummer 590, 158 Seiten, Preis 15.90 S) verraten leider weder das eine noch das andere. Eine Publizistin von internationalem Rang und Ruf plaudert hier von einer genialen schöpferischen Persönlichkeit wie eine höhere Tochter über Kant oder Schopenhauer.

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