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Die geheimen Miterziehei

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Ob die deutschsprachige und deutsch übersetzte Filmliteratur, die in den letzten Jahren gegenüber dem Ausland gewaltig aufgeholt hat, dem Höhepunkt zustrebt? Es gibt in letzter Zeit neben erfreulichen Überraschungen auch schon grimmige Enttäuschungen.

Stolz dürfen wir nach längerer Pause wieder einmal auf eine Wiener Publikation sein, auf das von der Ersten österreichischen Sparkasse, unserem oft gerühmten großen österreichischen Mäzen, den Erziehern gewidmete Handbuch „Geheime Miterzieher“ (nicht im Buchhandel, 145 Seiten, reich illustriert). Obwohl der kurze Presseartikel Herbert Peters der schärfste und temperamentvollste ist und auch Funk und Fernsehen berücksichtigt sind, liegt der Schwerpunkt doch auf den 100 Seiten Film, dessen zehn Kapitel das Thema wirklich pädagogisch ausschöpfen. — Ein weiteres Lob auch dem pünktlich wieder herausgegebenen „österreichischen Film-Almanach 1965“ Harry Nestors, der seinem reichen Programm diesmal erstmals eine Ubersicht über die internationalen Fernsehstationen angefügt hat.

Erstaunlichen Reichtum entfaltet auch das Werkbuch Franz Glorius' und Michael Hallers „Film, Jugend, Kirche“ (Verlag J. Pfeiffer, München, 180 Seiten, 8 Kunstdrucktafeln, Preis 5,40 DM). Neben den filmischen Ausdrucksmitteln und den kirchlichen Kundgebungen brillieren Monographien über Fellini, Dean. Die „Kleine Filmbibliothek“ ist wohl etwas zu klein geraten. — Einen knappen Beitrag zum unerschöpflichen Thema „Religion im Film“ (Verlag Haus Altenberg, Düsseldorf, 44 Seiten, 1,80 DM) leisten auch Stefan Bamberger und Franz-Evev-schoor, die sich sogar noch der ..Sieben Thesen“ des unvergeßlichen Wiener Paters Strangfeld SJ. erinnern. Nach dem Standpunkt der beiden Verfasser allerdings haben die 70 Jahre Filmgeschichte nur so viele religiöse Filme hervorgebracht, als wir Finger an der Hand haben. — Von weit links ausgehend und alle religiösen Stellungnahmen fast ängstlich ausklammernd, kommt der französisch-westafrikanische Sozialpsychologe Pierre Fougeyrollas in seiner Studie „Meinungsfreiheit in Film und Fernsehen“ (C.-Bertelsmann-Verlag, Gütersloh, 24 Seiten, 4,20 DM) zu überraschend strengen, uns adäquaten Urteilen über heikle Fragen der Zensur.

Das trächtigste Thema hatte wohl der deutsche Linksjournalist Enno Patalas in seiner „Sozialgeschichte der Stars“ (Marion-von-Schröder-Verlag, Hamburg, 257 Seiten) in der Hand. Er hat es nicht bewältigt. Bei dem Versuch einer Kategorisierung rutschen ihm beispielsweise Anna Magnani in die Pin-up-Girls und Shirley MacLaine in die „Nymphen“; höchst umstritten auch die „genealogischen Tafeln“. Haupteinwand: keine „Sozialgeschichte“ (die so lockend wäre!), sondern 236 Kurzbiographien, zum Teil aus des Verfassers eigener deutscher Filmgeschichte.

Die schlimmste Enttäuschung aber ist Marlene Dietrichs „ABC meines Lebens“, an das der Blanvalet-Ver-lag, Berlin (212 Seiten), unverdiente Ausstattung verschwendet hat. Aussprüche anderer Persönlichkeiten, eigene Weisheiten vom Schlage: „Fry, Christopher: Er sieht sogar aus wie ein Dichter“, und eine Unzahl von Kochrezepten von Gulasch (mit saurem Rahm) bis Gurkensalat (mit Dill) für ein Buch auszugeben, zeugt von Selbstbewußtsein, das Jovi, aber nicht bovi zusteht.

Zum Shakespeare-Filmfestival 1964 hat das veranstaltende Deutsche Institut für Filmkunde eine Festschrift, „Shakespeare im Film“, herausgegeben (132 Seiten, reich illustriert), das die Spuren Shakespeares in den Filmjahren 1899 bis 1964 verfolgt. Aus der „Biofilmo-graphie“ (das Wortungetüm ist die einzige Entgleisung der Publikation) geht beispielsweise hervor, daß m diesen 65 Jähren 25 der 36 Stücke Shakespeares 239 mal verfilmt wurdet!; darunter allein '41 mal „Romeo und Julia“, 35mal „Hamlet“ und 25mal „Othello“. Wolf Steffens Hauptbeitrag gibt auch die Begründung für die „lockenden Elemente“.

Prodolliets hier kürzlich gewürdigtem „Lexikon des Wilden Westens“ folgt die so viel bedeutendere deutsche Bearbeitung von Jean-Louis Rieupeyrouts „Der Western“ aus dem Französischen (Carl-Schü-nemann-Verlag, Bremen, 230 Seiten). Andre Bazins Vorspruch hat das Wort vom „amerikanischen Film par excellence“ für den Westerner geprägt — bitte, darauf nicht im Grimmschen Wörterbuch vergessen! Der Verfasser Rieupeyrout entwickelt eine umfangreiche Geschichte des Wildwestfilms erstmals aus der vorangegangenen Geschichte, Folklore und; Literatur heraus — ein restlos gelungenes Unternehmen. Es folgen als „klassische Exposition“ die ersten 30 Drehbuchminuten aus „Stagecoach“, den viele Filmfreunde als „Höllenfahrt nach Santa Fe“ kennen, ferner 850 Filme „Westernographie“ (leider wieder ein Wortungeheuer), eine reichliche Bibliographie und ein umfangreiches Register. Das Ganze: eine prächtige Darstellung der „amerikanische Ilias“ und „Odyssee“, in vielem auch des „amerikanischen Nibelungenliedes“.

Die Cinemathek ausgewählter Filmtexte im Marion-von-Schröder-Verlag, Hamburg, schreitet mit Siebenmeilenstiefeln fort. Heft 7 bringt das Drehbuch von Ingmar Bergmans stimmungsdichtem, vielleicht überhaupt schönstem Film „Das siebente Siegel“, Heft 8 Fede-rico Fellinis verworrenen und verwirrenden Film „8 %“, mit dem wir Katholiken trotz allen gegenteiligen Beteuerungen vorläufig von „unserem Regisseur“ Abschied nehmen.

Ob wir gleiches vom älteren Berg-man tun müssen? Zwar versucht Gert H. Theunissens „Dos Schweigen und sein Publikum“ (Verlag M. Du Mont, Schauberg, Köln, 188 Seiten) verzweifelt durch Vortäuschen einer unbefangenen Dokumentation von Kritiken und Diskussionen in Westdeutschland (die schwedischen und französischen hätten ein anderes Bild ergeben!), Bergmans Film in Schutz zu nehmen, trotzdem fühlen wir uns durch die eigene theologische Augurenarbeit, die wir lange Zeit an Bergmans Werk verschwendet haben, genarrt und schmerzlich enttäuscht.

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