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Vom sterblichen Film

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Mit Heinrich Fraenkel „Unsterblicher Film“, Die große Chronik II. Teil: Vom ersten Ton bis zur farbigen Breitwand, Bildteil von Wilhelm Winkel (Kindler-Verlag, München 1957. 499 Seiten, davon 230 Seiten Text und 120 Seiten „Stichworte“ und Register sowie 230 Bilder. Preis 14.50 DM), liegt nunmehr (nach' Sadoul, Zglinicky und Knaur) die kompletteste und aktualisierteste Filmgeschichte in deutscher Sprache vor. Der Band II reicht von 1926 bis Spätherbst 1957 („Stresemann“, „Vater, unser bestes Stück“) und umfaßt damit nicht nur die technischen Revolutionen von Tonfilm, Farbe, Breitwand, Raumton, Pseudoplastik und Fernsehen, sondern auch die geschichtlichen und gesellschaftlichen Erschütterungen durch die politischen Umbrüche und den Krieg.

Fraenkels Ueberblick über das Erdrund des Films ist nahezu total, wenn auch der Schwerpunkt auf seiner personlichen, ressentimentfreien Vertrautheit mit dem deutschen Film, und hier wieder dem vielschichtigen Komplex „UFA“, liegt. Oesterreich kommt dabei gebührend zu Wort. Der Bilderteil ist imposant, das Register ausführlich und sorgfältig; der Glanzpunkt des Bandes ist auch diesmal die umfangreiche Chronologie in Stichworten. Von den Fehlern sei wenigstens die hübsche zweimalige Namenschreibung unseres Toni „Karasch“ erwähnt.

Der Feuilletonismus des ersten Bandes ist gedämpft worden und durch ausführliche ästhetischweltanschaulich-ethische Ueberlegungen abgelöst. Fraenkels „Komplex“ ist die Moral, die er schlechtweg mit Vulgärmoral, das ist altjüngferliche Prüderie und Heuchelei gleichsetzt. Hier können wir ihm nicht immer folgen. Problematisch bleiben auch Rückblick und Ausblick am Schlüsse; sie sind von sympathischem Optimismus, entbehren aber doch jener zwingenden geistigen Leuchtkraft, die das un-

sdUBchdringlkhe Zwielicht der Entwicklung und der

In der rein kritischen, ästhetisch-weltanschaulichen Untersuchung, die zusammen mit der Geschichtsschreibung nunmehr weitgehend die Biographie und die Anekdote in der Filmliteratur abgelöst hat, nimmt Leo Waltermanns „Kino, Kunst und Kolportage“ (Verlag Hermann Stratz. Säckingen/Hochrhein. 166 Seiten. Preis 5.80 DM) eine Vorzugsstellung ein Sachkundig präludiert es über Geschichte, Technik und Ware und stößt mit dem Kapitel „Die Wirkungen des Films, wie er heute ist“ ins Zentrum modernster Problematik. Die herbe Abrechnung schließt nicht pessimistisch: „Der Film ist ein Produkt. Er ist .gemacht'. Er brauchte nicht zu sein, wie ei ist. Er könnte anders sein ... Die positiven Möglichkeiten des Films sind bis heute weithin ungenutzt.“ Das Kapitel „Ueber den religiösen Film“ scheint mir etwas zu streng im Urteil. Eine grundkluge Analyse des „Tagebuchs eines Landpfarrers“ bildet den Schlußakkord.

Die „Dokumente katholischer Filmarbeit“ (Verlag Haus Altenberg. Düsseldorf. 88 Seiten. Preis 3.80 DM) bieten (neben Charles Fords „Der Film und der Glaube'“ heute wohl die umfassendste Uebersicht über die kirchlichen Filmkundgebungen in deutscher Sprache. Sie enthalten die Enzyklika 1936 und vier (der bisher sieben) päpstlichen Ansprachen, zwei deutsche Hirtenworte und die wichtigsten Beschlüsse der OCIC-Kongresse von 1951 bis 1955. Die wertvolle Veröffentlichung müßte unbedingt ergänzt und fortgeführt werden.

Drei Jahre nach seinem stacheligen „Stechkontakt“ läßt der Hamburger Filmpublizist Karl Klär nunmehr „Film .zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ folgen (Der Neue Film, Verlagsgesellschaft Feldt & Co., Wiesbaden-Biebrich. 124 Seiten) Acht „Gespräche mit den Freunden des Films und seinen Gegnern“ handeln über Publikum, Darstellungsmittel, künstlerischen Vorgang und Verantwortung, Unterhaltungsfilm und „Sünden“, und natürlich auch über die Kritik, wobei besonders schlecht die religiösen Institutionen wegkommen. Davon abgesehen, ist das Buch sachkundig und im einzelnen brillant formuliert, im Ganzen aber nicht frei von jener eigentümlichen leisen Blicktrübung, die eine langjährige engere Bindung an die „Branche“ nach sich zu ziehen pflegt.

Gunter Grolls erstet, heute schon vergriffener Kritikensammlung „Magie des Films“ folgt Don Camillos II. Teil, abermals hundert „Lichter und Schatten“ (Süddeutscher Verlag, München. 200 Seiten. Preis 9.80 DM). Hinter Grolls spitzen Pointen stehen immer Wissen und Können. Seine Wortspiele sind nicht spielerische Kaskaden, sondern Fontänen einer intensiven Geistigkeit, seine Vergleiche schöpfen aus sauberen Brunnen. Artistik? Ia. Aber klassische Hochseilkunst. Groll liebt und züchtigt nicht die Filme, er liebt den Film. Man wird diese seine zweimal hundert Kritiken wie einen

Laokoon noch lesen, wenn nach 190 der kritisierten Filme kein Hahn mehr kräht. (Vielleicht wird ihm der Unterzeichnete dann sogar die unnotwendige Koketterie der römischen Bezifferung der einzelnen Gedankenabsätze verzeihen ...).

Bedeutender als sein schmaler Umfang (24 Seiten) ist der Inhalt einer Sondernummer „F e d e r i c o Fellini“ des Organs der Schweizer Filmkommission „Der Filmberater“ (Zürich, Nummer 15 vom 15. September 1957). Ein ergreifendes Selbstbekenntnis Fellinis, eine überaus gewichtige „Anmerkung“ Dr. Georg Gersters: „Federico Fellinis Werk und Welt“, Dr Martin Schlappners „Giuletta Masina“, Stefan Bambergers „Der Neorealismus Fellinis“, Filmographie, Bibliographie und zwei beziehungsvolle

Gespräche aus „La Strada“ und „Le Notti di Cabiria“ ergeben ein einprägsames Porträt einer der künstlerisch und weltanschaulich-religiös profiliertesten Filmpersönlichkeiten der Gegenwart.

Filmanekdoten ohne Krampf und Diebstahl, menschlich und unabsichtlich, bietet Edith H a-m a n n s neue Sammlung von den Urzeiten bis O. W. Fischer und Romy Schneider: „Die Klappe“ (Bechtle-Verlag, Eßlingen. 80 Seiten, mit 20 Zeichnungen. Preis 4.20 DM). Amüsant und seriös zugleich.

Richard Gordons „Hilfel Der Doktor kommt“ sahen wir im Vorjahr erst auf der Leinwand und genießen nun seinen respektlosen, aber produktiven Witz in Halbleinen nach (rororo-Taschenbuch Nr. 233); auch „Aber, Herr Doktorl* und'„Doktor Ahoi!“ sind früher in rororo erschienen (Nr. 176 und 213).

„M acht und Geheimnis Film“ von Rudolf M a 1 i k (Verlag Ludwig Auer, Cassianeum, Donauwörth. 72 Seiten. Preis 1.40 DM) ist so etwas wie das ABC des Films. Die Schlußkapitel über die Gefahren des Films und das Publikum sind wohl etwas knapp geraten, münden aber in den begrüßenswerten Appell: „Auswählen, kritischer werden!“

Neben Nestors „Almanach“ erscheint nunmehr in ähnlicher Gewandung (biegsames Taschenbuch) das „Jahrbuch der österreichischen Filmwirtschaft 1957/5 8“ (Herausgeber und Verleger STERAC Ges. m. b.H., Wien. 344 Seiten) mit umfassendem Anschriftenmaterial der Behörden und Institutionen, Produktion, Filmschaffenden, Verleih und Kinos, Technik und Werbung usw. Ueber fünfzig Seiten nimmt eine Liste aller 1956 in Oesterreich gezeigten in- und ausländischen Filme ein. Neuartig die umfangreichen Angaben über die einzelnen Abteilungen und personalen Besetzungen der Verleihfirmen. Die Errata überschreiten nicht das gewohnte Ausmaß.

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