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Welt und Weltmacht des Films

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Alle zehn Jahre etwa gelingt der Filmliteratur ein Wort, ein Ausdruck, eine Begriffsbestimmung von epochaler, Gültigkeit. Balacs’ „Sichtbarer Mensch” gehört hierher, René Fülöp-Millers „Phantasiemaschine” und auch noch Ilja Ehrenburgs „Traumfabrik”. Ein solche ins Ohr gehende Formulierung ist Vagn Börges „Kamera in uns”, und um ihretwillen allein schon hätte sein Buch „Weltmacht Film” — Das geistige Gesicht einer neuen Kunst (Austria-Edition, Wien 1960, 46S Seiten) Heimatrecht in der Flut echter und getarnter Filmhistorien. Die „Kamera in uns” ist nach Börge die uralte filmische Schau des Menschen (siehe Gregor: „Der Film ist so alt wie die Menschheit”), die lebende Kamera in des Menschen Aug, die unablässig optische Eindrücke aufnimmt, sie mit Wunsch- und Traumbildern vermischt, im Innern des Menschen speichert und gleichsam als Bildarchiv seiner Seele anlegt, aus der dann bewußt und unbewußt alle großen Filmdichter und -regisseure schöpfen. Weniger als diese „Einleitung”, weniger, als nach der reichen Erfahrung des bekannten Theater- und Filmwissenschaftlers zu erwarten war, bietet der Schluß (Erziehung und Wissenschaft). Der massive illustrierte Mittelteil ist ein nationaler Rundgang durch die Weltproduktion, über den neben Erfreulichem (so der längst fälligen Gleichrichtung der einseitigen Crakauerschen These) auch Unerfreuliches zu melden ist, so die stiefmütterliche Behandlung des phänomenologisch so wichtigen und eigenständigen österreichischen Films hier als bloßen Wurmfortsatzes des deutschen Films. Der ruhmreiche österreichische Film ..Die letzte Brücke” wird zudem (Seite 223) ausdrücklich als „deutscher Streifen” bezeichnet, was wir in einer Buchreihe der österreichischen UNESCO-Kommission besonders schmerzlich empfinden.

Mit allen gebotenen geistigen Vorbehalten, aber doch mit einigem fachlichen Gewinn wird der Filmwissenschaftler Text und Bilder von Boris Lawrenjews schmaler Bildchronik „Der russische Revolutionsfil m” mit Beiträgen von Eisenstein, Pudowkin, Dowjenko u. a. aufnehmen (Sanssouci-Verlag, Zürich 1960. 36 Seiten. DM/sFr. 4.80).

Eine wertvolle Bereicherung unserer nicht eben gründlichen Kenntnisse und Einblicke in die magische Welt des Zeichenfilms bieten gleich zwei Neuerscheinungen. Während „Gezeichnete Filme” von J. H a 1 a s und B. Privett, übersetzt, bearbeitet und ergänzt von Frank Frese (Wilhelm- Knapp-Verlag, Düsseldorf 1957, 152 Seiten, DM 10.80) fachkundig und gründlich in die Arbeitsmethode einführt, ‘euchtet Reinhold E. Thiel in „Puppen- und Zeichenfilm, oder: Walt Disneys aufsässige Erben” (Rembrandt-Verlag, Berlin 1960, 68 Seiten, DM 4.80) kritisch, sehr kritisch in die bewegte Geschichte des Trickfilms von 1892 (!) bis Trnka. Das Büchlein enthält nicht allzu viele, aber hochinteressante Bildbeigaben.

In der Fischer-Bücherei (Band 353, 193 Seiten, DM 2.20) erschien als ungekürzte Lizenzausgabe des Züricher Atriumverlages ein richtiges Drehbuch, Erich Kästners „M ünchhause n”. Es ist bereits in die Filmgeschichte eingegangen — nicht nur als Dokument aus bitterer Zeit (Kästner hatte im Krieg Schreibverbot, durfte aber unter dem Schutz und Schirm hoher Filmprotektoren dieses Buch, ein Kuckucksei im geistigen Nest des Nationalsozialismus, anonym schreiben), sondern auch als Klassiker eines geist- und humorvollen, dramaturgisch vorbildlichen Drehbuches. Es wäre auch ohne Verfilmung Literatur geworden.

Mit dem Namen des Franzosen Albert Lamorisse ist, solange der Film leben wird, die Erinnerung an Hochfeste dynamischer, nicht exzessiver Kamerakunst im Rahmen volkstümlicher, kindlicher Stoffe verbunden. Im Rütten-und-Loening- Verlag, Hamburg (1961, DM 9.80) kam jetzt mit deutschen Texten von Lamorisse und D. Colomb de Daunant der Bildband „Der weiße Hengst” mit dem aufregenden Kampf der zwei Hengste, der allen Zeichnern zum Studium dienen kann, heraus. Gleich großzügig ausgestattet, in Schwarzweiß und Farben, mit den unvergeßlichen Farbbildern von der Rettung des gejagten Hirschen: „Die Reise im Ballon”, übersetzt von Anja Hegemann (Eugen-Diederichs-Verlag. Düsseldorf-Köln

1961, DM 11.80) Zwei Prachtbände, eine Augenweide für die „Kamera in uns” . ..

In den nun zur stattlichen Bibliothek anwachsenden Publikationen der Katholischen Filmkommission für Österreich (verantwortlich: Dr Richard Emele, Wien I, Wollzeile 7, 140 Seiten) ist nunmehr schon „Filmspiegel VII” an der Reihe. Um den für alle Filmfreunde unentbehrlichen Kern, diesmal die Kurzkritiken (mit allen Angaben) sämtlicher 1959 und 1960 in Österreich gezeigten Filme, ranken sich, wie immer, hochwillkommene Beigaben: kirchliche Enun- tiationen, die oberen und unteren „Spitzen” der Filme, die • Tätigkeit der Filmkommission. Filmliteratur und Anschriftenmaterial u. v. a. — Im weltlichen Sektor behauptet nach wie vor Harry Nestors „Österreichischer Filmalma- nach” (14. Jahrgang 1961) mit einem fleißig gesammelten und immer wieder aufmerksam verbesserten Adressenmaterial über schlechtweg alle mit Film zusammenhängende Stellen in Österreich den Vorrang.

Über bloßen Zeitschriftenwert hinaus bieten die „Steirischen Berichte zur Volksbildung und Kulturarbeit”, V. Jahrgang 1961, Nr. 2, Selbständiges und Neues zu Fihnkunde, Wirtschaft und Erziehung. — Zur aktuellen Debatte über das Jugendverbotsalter steuert das Österreichische Institut für Jugendkunde mit der Broschüre „Wirkung des Films auf Jugendliche” (1961) einiges Wichtige bei; unter den erzieherischen Faktoren (S. 11 ff.) hätte wohl auch die Nachkriegsarbeit der Katholischen Filmkommission für Österreich erwähnt gehört.

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