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Der junge Herzl

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Herausgegeben von Alex Bein, Hermann Greive, Moshe Schaerf, Julius H. Schoeps, erschien jetzt der erste Band (von sieben) einer Edition der Briefe und Tagebücher. Eine deutsch-jüdische Gemeinschaftsarbeit: vierzig Jahre nach dem Untergang der deutsch-jüdischen Symbiose, die zwischen Moses Mendelssohn und Martin Buber dem deutschen Geistes-Leben Denker, Dichter, Forscher, Gelehrte — breit gestreut una in hervorragenden Persönlichkeiten akzentuiert — geschenkt hatte.

Der erste Band: das ist der junge Herzl, der Journalist, der Feuilletonist, der Bühnenautor, der — wie er in einem langen Brief an Arthur Schnitzler bekennt — sich eitel in dieser Welt der Streber bewegt hatte.

Dieser schöne junge Mann faszinierte die Frauen, errang aber nie Frauen-Liebe. Die entsetzlich unglückliche Ehe kommt in diesen Briefen ausführlich zu Wort. Er erlebte sie als eine „Hölle“.

Theodor Herzl, der sich als „deutscher Schriftsteller“ versteht, Mitglied der Burschenschaft „Albia“ ist (der Austrittsbrief ist in diesem Band), der Burgtheaterdirektor, Chefredakteur und am liebsten Politiker geworden wäre, was ihm in „Oestreich“ versagt blieb.

Dieser strahlende junge Mann, der in einer außerordentlichen Bindung am „goldenen Vater“ und der einzigartigen Mutter hängt (täglich schreibt er an sie, wenn er auf Reisen ist), dieser junge Schriftsteller, der mit Schnitzler befreundet ist, sich nach Hofmannsthal erkundigt, mit Sudermann gut bekannt ist: Wer mochte ahnen, daß in ihm „ein König in Zion“ verborgen hauste?

Pranke des Löwen: Er, der die Juden als „ein durch Druck verkommenes, entmanntes, vom Geld verwirrtes, in allerlei Hürden domestiziertes Volk“ erlebt; er, der die antisemitische Bewegung in Wien als vielfach positiv sieht (sie werde „vielfach zur Erziehung der Juden beitragen“); er, der nichts dagegen hat, daß sich seine Kinder einmal taufen lassen; er, der die Juden Wiens in den Stephansdom zur Taufe führen möchte, erwacht in den frühen neunziger Jahren, bis dann 1895 seine Bekehrung durchbricht: ein Sturm, der ihn erschüttert, bis zum Tode im vierundvierzigsten Lebensjahr, völlig erschöpft, in Edlach.

Für Liebhaber einer anständigen Presse und Journalistik: der lange Brief an Baron Friedrich Leitenberger über die Gründung einer freien, unabhängigen Zeitung, die den Antisemitismus bekämpfen soll. Vorbedingung: „Und kein Jud im Blatt!“

THEODOR HERZL. Briefe und Tagebücher. Band 1, Briefe und autobiographische Notizen 1866-1895. Propyläen-Verlag, Berlin 1983. 1120 Seiten. Ln.. öS 1200,-.

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