Soigniert bis zur Bewußtlosigkeit
Urteile und Vorurteile eines Wiener Zionisten in den Tagebüchern von Eugen Hoeflich.
Urteile und Vorurteile eines Wiener Zionisten in den Tagebüchern von Eugen Hoeflich.
Der 1965 verstorbene israelische Schriftsteller Moshe Ya'akov Ben-Gavriel war Offizier der israelischen Armee und arbeitete als Korrespondent deutscher Zeitungen. Er schrieb humoristische Romane und Krimis sowie schnurrige und skurrile Erzählungen. Sein erfolgreichster Roman, "Das Haus in der Karpfengasse", wurde 1964 verfilmt. Er beschreibt das Schicksal der Bewohner eines Hauses in der Prager Altstadt im Jahr 1939.
Unter seinem früheren Namen Eugen Hoeflich war er bis zur Auswanderung nach Palästina 1927 einer der bekanntesten jüdischen Publizisten in Wien, Redakteur der jüdischen Kulturzeitschriften "Esra" und "Das Zelt" und Verlagslektor. Dazu kamen zahlreiche Funktionen im jüdischen Leben, unter anderem als Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Forscher, Künstler und Schriftsteller Haruach und als Sekretär der Freien Jüdischen Volksbühne. Leben konnte er davon aber nicht. Viele Passagen seines nun publizierten Tagebuches handeln von Hunger und Geldnot in den Zeiten der Arbeitslosigkeit.
Sein Urteil über die "Neue Freie Presse" und den "Feuilletonschmock" Felix Salten, die Ablehnung des für ihn innerlich unwahren, unjüdischen Stückes "Jeremias" von Stefan Zweig dokumentieren das Denken eines bewußten Zionisten. Mit weit mehr Sympathie schildert er Beer-Hofmann: "ein dicker mit peinlicher Sorgfalt gekleideter Jude". Hingegen über Salten: "Herr Salten sieht so aus, wie er schreibt. Jeder Zoll Neue Freie Presse. Das überlegene Lächeln des gerissenen Journalisten, vereint mit dem sorgsam gepflegten Zug des Dichters, soigniert bis zur Bewußtlosigkeit" und so weiter.
Die jüdischen Autoren, die heute immer als die Vertreter der Wiener jüdischen Literatur genannt und zitiert werden, waren also nur ein Teil einer viel größeren, uns heute nicht mehr bewußten und präsenten Kultur, die es mit Hilfe von Büchern wie diesem wieder zu entdecken gilt.
Hoeflich definierte in seinem Tagebuch den Zionismus einmal als die ethischste Bewegung der Welt. Er war aber zugleich ein Pan-Asiat, was bedeutete, daß er in Palästina die europäische Kultur, die er nach dem Ersten Weltkrieg mit einem moralischen Trümmerhaufen verglich, zu überwinden hoffte. Die Aufgabe des Zionismus sah er darin, alles daranzusetzen, "daß nicht Palästina ein Abklatsch Europas werde, eine kommerzielle Spekulation unter jüdischer Flagge, die das Aufkeimen einer hebräisch jüdischen Kultur verhindert". An der offiziellen zionistischen Bewegung kritisierte er den "großen historischen Fehler, Judentum ohne jüdische Religion konstruieren zu wollen", was im Hinblick auf die nachfolgende Entwicklung sehr differenziert zu sehen ist. Der Wert seiner Aufzeichnungen wird auch nicht dadurch verringert, daß Hoeflichs abfällige Bemerkungen über viele Kollegen aus heutiger Sicht stark überspitzt erscheinen oder sich der Nachprüfung entziehen.
Wie der Zionismus war das Judentum für Hoeflich etwas, was der Einzelne sich erarbeiten mußte. In diesem Zusammenhang schrieb er über eine Begegnung mit deutschen orthodoxen Juden: "Ihre Frömmigkeit ist mir verdächtig, sie stößt mich ab, denn ich erkenne, daß es nur Schalen, Formen sind, Gewohnheiten, die nur ein Gefühl erlauben: die Angst, sie abzulegen. Keine lebendige Religiosität, kein Ringen um das Judentum: ihnen ist es schon fix und fertig, ein starres, erstarrtes Geschenk, in die Wiege gelegt worden." In jugendlicher Radikalität nannte er sie sogar "die Totengräber des Judentums."
Interessant zu wissen wäre, wie Hoeflich auf die späteren Entwicklungen der israelischen Gesellschaft reagierte. Die folgenden Bände seiner Tagebücher, deren Edition von Armin A. Wallas ebenfalls geplant ist, werden darüber wohl Auskunft geben. Die aus dem Nachlaß edierten Tagebücher bieten einen intimen Einblick in die zeitgenössischen innerjüdischen Debatten und sind damit eine erstrangige Quelle für das jüdische Leben in der Zwischenkriegszeit. Die für das Verständnis notwendigen Detailinformationen über die vielen erwähnten Personen und Ereignisse wurden vom Herausgeber in einen umfangreichen Kommentarteil übernommen, aber leider vom Verlag in einer viel zu winzigen Schrift gesetzt.
Tagebücher 1915 bis 1927. Von Eugen Hoeflich (Moshe Ya'akov Ben-Gavriel) Herausgeber: Armin A. Wallas Böhlau Verlag, Wien 1999. 641 Seiten, geb., ÖS 1180.-/e 85,75
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