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Erklärer des Judentums

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Antisemitische Restbestände beruhen mindestens zum großen Teil auf Nichtkennen, auf Informationsmangel. Zwei Bücher aus letzter Zeit erscheinen besonders geeignet, ihn abzubauen. Der durch zahlreiche in deutscher Sprache erschienene Bücher bekannte Elie Wiesel schrieb ein großartiges Werk über den Chassi-dismus. Ein Büch von Gisela Hommel hingegen ist das Ergebnis der Begegnung einer Christin mit dem Judentum.

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Antisemitische Restbestände beruhen mindestens zum großen Teil auf Nichtkennen, auf Informationsmangel. Zwei Bücher aus letzter Zeit erscheinen besonders geeignet, ihn abzubauen. Der durch zahlreiche in deutscher Sprache erschienene Bücher bekannte Elie Wiesel schrieb ein großartiges Werk über den Chassi-dismus. Ein Büch von Gisela Hommel hingegen ist das Ergebnis der Begegnung einer Christin mit dem Judentum.

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Mehr als alle theoretischen Inrfor-imationen durch einschlägige Bücher, halfen ihr dabei persönliche Begegnungen mit gläubigen Juden, die sie im Jüdisch-Ohristlichen Lehrhaius in Duisburg traf. Darau9 entwickelten sich Kontakte, die ihr die Teilnahme an einer Sommerkonferenz der Jugend-Sektion der „World Union for Progressive Judaism“ in London ermöglichten. Frucht dieser Erfahrungen ist „Der siebenarmige Leuchter“, wo die Autorin Christen, die immer noch sehr wenig über das Judentum wissen, einen Einblick in diese Welt, um ihrer selbst willen, zu vermitteln sucht.

In ihrem Bericht erzählt Gisela Hommel —etwa im Kapitel „Provinz des Menschen“ — vom jüdischen Alltag. Es gibt da Passagen über das Essen im jüdischen Haus: „Das Essen steht hier nicht für sich aHein, sondern eher für die ganze, leibhaftige Verbindung der jüdischen Religion mit deim alltäglichen Leben, die sich in dem täglichen Stück Brot nicht weniger ausdrückt, als im Brauch zum Festmahl.“ Die Einbeziehung das Juden in die Gemeinschaft wird behandelt, seine Bindung an die Tradition, sein Respekt vor den Mitmenschen. Wir hören etwas von der Sprache und dem Lernen in der jüdischen Überlieferung. Die Autorin verweist hier auf ein unschätzbares Verdienst der pharisäischen Bewegung, die das Studium der Tora zur Aufgabe des ganzen judischen Volkes machte.

Besonders wesentlich scheint mir, daß Frau Hommel in ihrem Buch zwei recht unibekannte Dokumente im Wortlaut zitiert, in denen von offizieller katholischer Seite für ein neues Verhältnis der Christen zu den Juden aufgerufen wind. Es sind das die Erklärung der französischen Bischöfe über die Haltung der Christen zum Judentum, die 1973 abgegeben wurde, und die „Richtlinien und Hinweise“, die Rom 1974 für die Durchführung der Konziliserklärung „Nostra Aetate“ von Johannes: XXIII. zu den Beziehungen zwischen Christen und Juden erlassen hat. Das sind hoffnungsvolle Ansätze.

Frau Hommel gibt dazu viele Anregungen. Sie betont selbst, daß ihr Bericht subjektiv sei; manchmal, möchte ich antrugen, neigt sie auch dazu, beglückende, persönliche Erfahrungen zu verallgemeinern. Aber vieleicht ist es gerade dieses Engagement der Autorin mit Haut und Haaren für ihr Thema, das den Leser in seinen Bann ziehen und bewegen könnte, sich selbst auf die Reise zu beigeben in jenes unbekannte Land, in dem die Wurzeln unseres, des christlichen Glaubens liegen.

El'ie Wiesel wiederum hat in seinem jüngsten Buch „dhassidlische Feier“ die Geschichten, Legenden unld Gleichnisse der großen Meister des Chassidismus nacherzählt, die er als Kind von seinem Großvater hörte. Sie sind für ihn kostbarer Besitz geblieben, der ihm seine Jahre in Birkenau, Auschrwitz und Buchenwald überstehen half. Auch später begleitete ihn ständig jene Botschaft der Versöhnung und Freude, die der Rabbi Israel Baal Schem-Tov seinen geschundenen und ausgebeuteten Glaubensbrüdern im 18. Jahrhundert verkündete. Er lehrt sie, inmitten ihrer düsteren Umwelt die Hoffnung nicht aufzugeben, daß sie Freude und Hoffnung aus stich selbst schöpfen könnten, durch eigene Kraft und durch ihren Glauben. Der Baal Schern war ein Augenblick des Jubels und des Aufschwungs in einem Zeitalter stummer Klagen. Und als er 1760, 24 Jahre nachdem er sich geoffenbart hatte, starb, gab es in Mittel- und Osteuropa keine jüdische Gemeinde, die nicht seinen Stempel trug.

Dem ersten großen Rabbi des dhassidismus folgten andere Meister der chassidischen Bewegung, die das Erbe fortführten und, jeder auf seine Weise, bereicherten. Einige stellt Wiesel in seinem Buch vor. Der große Maggid von Mesritsch etwa, war der unmittelbare Nachfolger des Baal Schern, ein genialer Stratege und Koordinator, dessen Schüler die chassidischen Gemeinden in Ost- und Mitteleuropa festigten und erweiterten.

Ein ausführliches Kapitel widmet Wiesel dem Rabbi Levi Jizschak von Berditscbew, den seine Liebe zu den Menschen oft in Verzweiflung und Revolte stürzte. In Aufruhr sogar gegen Gott, der sein auserwähltes Volk mit Leiden überhäufte. In einem der Gebete Jizschaks stehen die erschreckenden Worte „Wisse, wenn dein Reich nicht Gnade und Barmherzigkeit bringt, dann wissen wir, daß dein Thron auf Betrug gegründet ist.“ Manche Ähnlichkeit mit dem Rabbi Jizschak hat der Rabbi Nachman von Brazlarw. Auch er rechtet mit Gott ob seiner Härte gegenüber seinem Volk; aber er rettete sich, wo er den Herrscher der Welten nicht begreifen konnte, in den Ausweg des Humors. Es war freilich ein schwarzer Humor, „ein herzzerreißendes, freudloses Lachen, ein Lachen des Protestes gegen die Absurdität des Daseins... Es ist das chassidische Lachen des Mitgefühls mit dem Menschen, der dem Zwiespalt seines Schicksals und Glaubens nicht entgehen kann. Sich Gott blind unterwerfen, ohne nach dem Sinn der Unterwerfung zu fragen, , hieße Gott herabsetzen... Die Revolte ist keine Lösung, die Unterwerfung ebenso wenig. Bleibt das Lachen, das metaphysische, befreiende Lachen ...“

Diese beiden Rabbis stehen Wiesel und uns Zeitgenossen besonders nahe durch ihre Sorge um den Menschen, die Anteilnahme an seiner Einsamkeit und seiner existentiellen Unsicherheit. Neben ihnen stehen die ganz arideren, glücklicheren; der sanftmütige Rabbi Sussja, „die fleischgewordene Unschuld, die Demut in Person“, der Rabbi Elimelech von Lisensk und der Seher von Lublin, an denen Wiesel rühmt, wie sie Zweifel und Kummer in Begeisterung und Lobpreisung zu verwandeln wußten.

Wiesel zeichnet ein quicklebendiges Bild der umwälzenden Erneuerungsbewegung des Judentums, die der Chassidismus bedeutete Jene Welt der Phantasie und des Traumes, die gläubigen Juden ihre Verfolgungen erträglich machte. Sie 'ist heute tröstlich und hilfreich wie einst. Wenn auch die meisten Gbassidim in den Konzentrationslagern umgebracht wurden, der Geist des Chassidismus lebt weiter.

DER SIEBENARMIGE LEUCHTER. Erster Blick aufs Judentum für Christen. Ein Erfahrungsbericht von Gisela Hommel. Verlag J. Pfeiffer, München, 156 Seiten, öS 152,46.

CHASSIDISCHE FEIER. Von Elie “Wiesel. Aus dem Französischen von Margarete Venjakob. Europa-Verlag, Wien, 251 Seiten, öS 198,—.

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