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Propheten und Heilige

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In der Reihe „Moderne Hagiographien“ legt der Bachem-Verlag zwei Publikationen vor: Daniel Pezerils Biographie des Pfarrers von Ars und Andre Nehers großartige Darstellung der Geschichte und Sendung des Propheten Jeremias.

Neher, der Professor für hebräische Literatur und Geschichte in Straßburg ist, entwickelt — auf dem Hintergrund der dramatischen politischen Geschehnisse des 6. und 7. vorchristlichen Jahrhunderts, die in die Prophetien des Jeremias so entscheidend einbezogen sind — die menschliche Tragödie des großen Gottesmannes und seine Wirksamkeit als Werkzeug des Herrn: „Die paradoxe Gleichzeitigkeit von Beschwernis und Gnade, von Knechtschaft und Freiheit, von Angst und Freude“ in den Erfahrungen des Propheten. War ihm doch aufgegeben „aus- und einzureißen, tu vernichten und in Trümmer zu legen“ all die falsche Ordnung, die das auserwählte Volk Sich bequem zurecht gemacht hatte, um dann „den Bund... in seinem gesamten, reinigenden Entsetzen wieder einzusetzen...“

Diese Aufgabe, diese unermüdlichen, ihm von Gott anbefohlenen Warnungen und Mahnungen führen Jeremias mehr als einmal tief in die Absurdität, muß er doch seinem Volk den Sieg des Nebukadnezar über Juda als gottgewollte Strafe darstellen, den Untergang als Rettung in überzeitlichem Sinn verkünden. Ein Verräter ist er in den Augen seiner Landsleute, ein Feind, den sie verfolgen; und er selbst leidet bitter unter der Bürde seiner paradoxen Botschaft.

Es gelingt Neher, den Weg des Jeremias — in den Augen der Menschen ein Ärgernis und widersinnig — als völlige Hingabe in Gottes Willen herauszustellen. Nicht nur, daß alle seine Prophezeiungen durch den Gang der Geschichte bestätigt werden, Jeremias wird auch von Gott wunderbar getröstet, wie Neher in seiner glänzenden Schlußinterpretation herausarbeitet, begreift er das doch schließlich harte Gericht als Voraussetzung der Erlösung. Der Autor bringt uns unvergleichlich der Welt des Alten Bundes nahe in einer Übergangsgestalt, einem Auserwählten Gottes, der sich ganz in sein schweres Los ergibt und, im Untergang in Gottes Willen, das Absolute in das Zeitliche hineinträgt. Welche unsäglichen Erfahrungen! *

Daniel PezerS erzählt die wunderbare Geschichte vom Leben und Wirken des armen Pfarrers von Ars ohne jedes falsche Pathos und ohne Sentimentalität, mit jener Einfachheit, welche doch immer auch die Hintergründigkeit dieser Existenz transparent macht. Da steht er ganz lebendig vor uns: der schlichte, einfältige Mann, dessen geistige Gaben nicht ausreichten, um die theologischen Prüfungen ohne Zwischenfälle zu bestehen, und dem auch nach der Priesterweihe die Erlaubnis zur Abnahme der Beichte noch einige Monate von seinen Oberen vorenthalten wurde, ihm, zu dem später Tausende von Beichtkindern aus ganz Frankreich und aller Welt pilgerten, der ein Heiliger war, dem Gott kraft seiner unsäglichen Demut die Macht schenkte, Wunder zu wirken und die Grenzen von Raum und Zeit aufzuheben. Wie ergreifend ist sein „Enthusiasmus Innerhalb einer eisigen Welt“, seine Güte und Barmherzigkeit, seine Hingabe an Gott und die Menschen. Und wie erschreckend für uns, zahme Christen, die unerbittlichen Anforderungen, die er so unbeirrt und selbstverständlich an seine Gemeinde und alle seine Beichtkinder stellt, Forderungen, die oft weit über die der Moraltheologen hinausgehen. Seine Strenge aber wird angenommen, weil hinter ihr soviel Sorge, Milde und Erbarmen stehen.

Pezeril geht auch nicht über die inneren Krisen dieses Heiligen hinweg; er spricht sehr offen von seinen Anfechtungen und Versuchungen, seinem Hang zur Schwermut, die ihn manchmal fast erdrückende Last seines Priesteramtes. „Wie traurig ist das Leben. Ich verdorre vor Kummer auf dieser armen Erde, meine Seele ist todestraurig. Meine Ohren hören nur unselige Dinge, die mir das Herz zerreißen. Ich habe keine Zeit, zum lieben Gott zu beten. Ich halte es nicht mehr aus...“ — Das hat der arme Pfarrer von Ars mehrmals kurz vor seinem Tod gesagt. Und wie ehr hungerte er, der gerade auch unter seinen Amtsbrüdern so vielen Anfeindungen ausgesetzt war, nach ein wenig Freundschaft! Vielleicht sind es gerade diese menschlichen Züge, die uns Jean-Marie Vianney so nahebringen. Er ist in all seiner Unbedingten kein unzulänglicher Heiliger. *

In seiner Einführung zu den Offenbarungen Birgittas von Schweden (1303 bis 1373) berichtet Sven Stolpe vom Leben und Wirken dieser ungewöhnlichen Frau, ihrer einzigartigen Bedeutung für das geistliche und kulturelle Aufblühen Schwedens im 14. Jahrhundert. Hineingeboren in eine Epoche großer Leistungen, aber auch furchtbaren Verfalls, versucht sie, die als Tochter und Ehefrau eines „Gesetzmannes“ über bedeutenden Einfluß verfügt, in die weltlichen und geistlichen Geschehnisse ihrer Zeit einzugreifen, zur sittlichen und religiösen Erneuerung beizutragen. Sie wirkte nicht nur vorbildlich in ihrem großen bäuerlichen Herrenhof und als Mutter von acht Kindern; eine Zeitlang war Sie Hofmeisterin am schwedischen Königshof, später gründete sie das berühmte Kloster Vadstena, das zu einem geistlichen und kulturellen Mittelpunkt Schwedens wurde; und in Rom schließlich, wo sie die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbrachte, nahm sie heftig Anstoß an dem unwürdigen Treiben der hohen Geistlichkeit.

Stolpe betont immer wieder die äußerste Nüchternheit und den Wirklichkeitssinn Birgittas und meint, im Hinblick darauf könne man sich vielleicht wundern über den Strom ihrer ekstatischen Offenbarungen, wenn diese sie einerseits als hervorragende Mystikerin ausweisen, ist doch ihr praktischer Sinn auch hier noch spürbar.

Bald nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 1344 kommen die Gesichte mächtig über sie. „Sie lebt nun zwischen Himmel und Hölle, Engeln und Dämonen ...“ (Reinhold Schneider). Aber sie erhält auch Ratschläge für die Gestaltung ihres eigenen Lebens und das ihr nahestehender Menschen. Sie erhält Botschaften für lasterhafte Kirchenfürsten, für die Exilpäpste, die sie kühn diesen zuleiten läßt. „Man wird nicht bestreiten können, daß sie... persönliche Liebe, persönlichen Haß in visionäre Bilder mischte, daß sie Urteile fällte, die sich nach unserem Wissen nicht bestätigen lassen, daß sie bewußt wirken wollte, eingreifen,- wenden in der Sorge um ihr Land, die Kirche, die Christenheit, vielleicht aber auch verwerfen, strafen,rächen___“ Das sagt Reinhold Schneider in seiner Abhandlung „Heilige Frauen“ („P feiler im Stro m“, Insel-Verlag, 1958), die man als Ergänzung zu Sven Stolpe, als Einführung und zum besseren Verständnis von Birgittas „Offenbarungen“ lesen sollte.

Wir müssen dankbar sein, daß diese „Offenbarungen“ nun auch dem deutschen Leser zugänglich sind, gehören sie doch zu den großen Dokumenten der geistlichen Weltliteratur. Birgitta ist übrigens auch eine Dichterin von Gottes Gnaden. Es gibt in ihren Offenbarungen nicht nur gewaltige, sondern auch bezaubernde Bilder und Gleichnisse. So vergleicht sie einmal die Himmelskönigin Maria mit einer Gärtnerin, die, sobald ein Sturm heranweht, hinausspringt und ihre Keimlinge und jungen Bäumchen festbindet, daß sie nicht umgerissen oder geknickt werden können! Wenn diese ästhetisch-künstlerische Begabung im Fall der Heiligen auch nur Beiwerk ist, wer wollte sich nicht an ihr freuen.

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