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Fur eine unabhangige revolutionare Kunst

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Chefideologe, Fuhrerfigur, enfant terrible und Zentrum des Surrealismus, dies alles war Andre Breton. Mark Polizzotti wid-mete dem franzbsischen Schriftsteller eine mehr als 1000 Seiten umfassen-de Biographie. Und was dabei auf den Leser einstrbmt, ist in der Tat eine wahre Materialschlacht. Man erfahrt viel, sehr viel iiber das Leben des Soh-nes eines Buchhalters, seine nicht ge-rade gluckliche Kindheit, das ge-spannte Verhaltnis zu seiner strengen Mutter, iiber seine Bekanntschaften, seine Freundschaften, Zerwiirfnisse, Feindschaften, Querelen mit Kolle-gen, Liebesaffaren, seine drei Ehen, seine psychischen Zustande.

Eine beachtliche Arbeit, zumal Bretons Schriften zwar auch stark au-tobiographisch sind, dabei aber nur wenig konkrete Information iiber den Autor liefern. Aber dafiir gibt es eben Biographen wie Mark Polizzotti, der akribisch recherchierte und sich den-noch nicht in biographischen Details verliert, sondern etwas sehr Reach tli-ches leistete: er schrieb zwar die Biographie eines einzelnen, die von Breton, verstand es dabei aber zugleich, diese mit der Geschichte des Geistes-lebens vom Beginn des 20. Jahrhun-derts bis in die sechziger Jahre zu ver-weben. Was dabei herauskommt, ist die spannend zu lesende „Revolution des Geistes", in deren Zentrum Andre Breton steht und aus der er als Initiator des Surrealismus hervorgeht.

Breton hatte bereits in seiner Ju-gend Kontakt zu namhaften Schrift-stellern, eine seiner ersten wichtigen Begegnungen ist jene mit Paul Va-lery, dessen „Monsieur Teste" er fiir den „Gipfel des Ausdrucks" hielt. Wahrend des ersten Weltkriegs nahm er einen Briefwechsel mit Guillaume Apollinaire auf, bei dem er spater die

Zeitschriften der Dada-Bewegung kennenlernte. Um 1917 wendet sich der Medizinstudent der Psychoanalyse zu, was ihn Jahre spater auch dazu ver-anlaBt, mit seiner ersten Frau Simone nach Wien zu reisen, um Sigmund Freud aufzusuchen. Doch die Begeg-nung wurde zu einer Enttauschung, sie redeten aneinander vorbei.

Im Marz 1919 - Breton leistete aufgrund seiner medizinischen Aus-bildung Dienst als Pfleger in Lazaret-ten - griindete er mit Louis Aragon und Philippe Soupault seine erste Zeitschrift: „Litterature". Noch im selben Jahr verfafite er gemeinsam mit Soupault „Die Magnetischen Fel-der", den ersten automatischen Text und Vorlaufer des ersten surrealisti-schen Manifests von 1924, das seine fiihrende Rolle konsolidierte und ihn im Alter von 29 Jahren in intellektu-ellen Kreisen beriihmt machte. Der Kreis um Breton wurde zu dieser Zeit immer grbfier und umfaBte bald Kiinstler aller Sparten: Louis Aragon, Paul Eluard (der lange zu Bretons engsten Freunden zahlte, mit dem er sich aber wegen Eluards totaler Hin-wendung zum Stalinismus entzwei-te), Antonin Artaud und aus der bil-denden Kunst Jean Miro, Jean Arp, spater und nur fiir kurze Zeit auch Salvador Dali, der jedoch in Amerika sei-nen eigenen Weg verfolgte. Nicht un-erwahnt darf Pablo Picasso bleiben, der Breton zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, nach seinem kurzen Dienst als Sanitatsoffizier, unterstiitz-te. Die Freundschaft zerbrach jedoch nach dem Krieg.

Polizzotti beschreibt die Griindung des Biiros fur surrealistische Forschun-gen und die verzweifelten Annahe-rungsversuche an die Kommunisten, nachdem Breton Trotzkis Buch iiber Lenin gelesen hatte, doch diese Kom-bination funktionierte nicht. Ziel des Surrealismus war zwar eine revolu-

tionare, aber eine unabhangige Kunst.

Indes schbpfte Breton den Stoff fur seine Literatur vor allem von seinen Frauen. Sie waren seine Musen. Ge-nannt seien „Nadja" (1928), femer „L'amour fou" (1937), zu dem ihn seine zweite Frau-Jacqueline inspirierte und „Arcane 17" (1947), das er in der ersten Zeit seiner dritten Ehe mit seiner Frau Elise schrieb.

Polizzotti kann auch spannend er-zahlen, was besonders deutlich wird, wenn er Bretons Flucht nach Amerika in den vierziger Jahren oder das Wie-derfinden ehemaliger Freunde im Exil

beschreibt, und schildert, wie sie auch dort ihre surrealistischen Ideen weiter-fiihren wollen. Im Mittelpunkt steht selbstverstandlich der Schriftsteller, Kunstsammler und Surrealist Breton, doch schrieb Polizzotti zugleich eine Geschichte des Surrealismus und seiner anderen Protagonisten und damit einen wichtigen Beitrag zur Geistes-geschichte des 20. Jahrhunderts.

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