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Zuhause dort, wo die Gedichte wohnen, deren Wortlaut weggeflossen ist, und die Musiken, von denen ihr Anhauch blieb. Und meine Toten." So endet der berührende Erzählband "Fremde" von Ilse Helbich, die 2009 mit dem Roman "Das Haus" endlich das Echo erhielt, das diesen vordergründig ruhigen, irritierenden und großartigen Texten gebührt. Eine 87-Jährige schreibt über vieles, das fremd erscheint, das fremd bleibt, das fremd sein muss und wodurch erst sich das Vertraute definiert. Das Kind erfährt Anderes anders als die Mutter, die erwachsene Frau stellt sich dem Fremden anders als eine Pubertierende, der Rückblick einer Greisin gerät zu einem grausam genauen Blick auf Situationen, die dem Leser das Gefühl vermitteln, hier habe jemand nicht nur professionell seziert, sondern, dem eigenen Denken auf der Spur, einen ungemein privaten Diskurs ins Rollen gebracht.

Verlorener Sohn

Eine der aufregendsten Geschichten ist die vom verlorenen Sohn, in dem das erwachsene Kind den Eltern unbegreiflich ist und die Eltern dem jungen Mann fremd sind. Vertrautheit wird ersehnt, das Versagen ist greifbar, Wut über die Verführung wird auf subtile Art übertragen. Helbich gelingt großartig, mithilfe einer vordergründig einfachen Satzkonstruktion, so reduziert und wortgenau, eine Bandbreite von Gefühlen zu schüren. Nichts überlässt diese Erzählerin dem Zufall, und doch sind diese durchstrukturierten Geschichten elegant, schwebend leicht, selbst wenn sie Fürchterliches darstellen oder voll Trauer Zeugnis geben, wie sehr Menschen einander verletzen oder nicht verstehen wollen. Doch trotz bestürzender Fakten ist da unglaublich viel Schönes eingewebt, wird Hoffnung geschürt, ist nicht selten ein Lächeln der Selbsterkenntnis möglich. Das Fazit dieses außergewöhnlichen Buches: Heimat wäre so leicht zu verschenken, warum also pflegen wir die Kultur der Grenzziehungen?

Helbichs literarische Kostbarkeit ist auch Droschl zu verdanken, einem Verlag, der sich nicht scheut, betagte Autorinnen zu publizieren, solange sie der Gesellschaft so viel in so großartiger Weise zu sagen haben.

Fremde Erzählungen von Ilse Helbich Droschl 2010 134 S., geb., € 18,50

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