Nicht Glück ist das Hauptwort

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Ilse Helbichs Band "Iststand" berichtet in sieben bestürzend klugen Erzählungen vom Alter.

Wer ein Jahr jünger ist, hat keine Ahnung." Das ist ein Satz, den Martin Walser vor langem einmal geschrieben hat und den er in den letzten Jahren - auf sein Alter angesprochen - in Interviews regelmäßig zitiert. Ilse Helbich kann für sich in Anspruch nehmen, eine Ahnung zu haben. Der neue Erzählband der 83-jährigen Wiener Publizistin, die erst spät, 2003 nämlich, mit dem hypnotischen autobiografischen Roman Schwalbenschrift als Schriftstellerin debütierte, trägt den Untertitel Sieben Erzählungen aus dem späten Leben. Iststand ist das Buch - nach dem Titel eines der sieben Texte - überschrieben, und meint die literarische Bestandsaufnahme eines Lebensabschnittes, dessen sich nicht nur die Literatur üblicherweise ungern annimmt; umso weniger aus dem Blickwinkel einer Frau.

Was schon Ilse Helbichs Roman seine gewaltige Sogkraft verliehen hat, zeichnet auch ihre Erzählungen aus: Helbichs harter Blick. Er ist absolut nicht gefühllos, aber bis an die Schmerzgrenze unbestechlich. Weiter kann Literatur nicht vom Selbstbetrug entfernt sein. In Helbichs Unbestechlichkeit wohnt zugleich Poesie, denn dort, wo bei ihr abseits von Kitsch, Pathos und Verklärung das Schöne aufblitzt, wirkt es doppelt echt. "Glückliche Stunden. Aber nicht Glück ist das Hauptwort, das Hauptwort ist: Heiterkeit" heißt es in Ist-Stand, der kurzen Erzählung über eine Siebzigjährige, die in ein altes Haus mit Garten zieht, das ihr neuer Wohnsitz wird. Dort geht sie ihren alltäglichen Tätigkeiten nach, mit "geschickten, freilich langsam gewordenen Händen" und schreibt daneben Geschichten, die jene, denen sie sie zu lesen gibt, erschrecken lässt "über die Dunkelheiten, in denen die scheinbar so gelassene, durchsonnte alte Frau zu leben scheint".

Das Alter, wie Ilse Helbich sich ihm schreibend annähert, hat nur selten mit Abgeklärtheit zu tun. Dort, wo es auf die Jugend trifft, wird es schnell zum Stigma wie in Im Waldbad, wo Großmutter und halbwüchsige Enkelin einander auf entfernt voneinander liegenden Badetüchern dumpf anbrüten. Die Großmutter registriert die Abwehr, die sie in dem Mädchen auslöst: "Weil sie es ja weiß, nein, weil sie in jedem ihrer alten Knochen spürt, wie ihre Nähe das Mädchen drüben schaudern macht, ihm, wenn es herüberblinzelt, eine Gänsehaut über den schön gebräunten Körper jagt." Als das Mädchen bei anderer Gelegenheit Eltern und Großmutter anbrüllt ("… ihr seid alt, alt und darum böse!"), steigt in der alten Frau ein zwiespältiges Gefühl auf: "Wie sie damals das Mädchen gehasst hatte, und verstanden!"

Ilse Helbich zeigt das Alt-Sein als hybriden Zustand: Kränkung und Einsicht, leiser Humor und Trauer, Gelöstheit und Bedauern, Gleichmaß und Veränderung greifen ineinander. Ein alter Mann spürt mit einem Mal "diese andere Müdigkeit, die der Internist ihm vorausgesagt hat" (Der Venusdurchgang). Vom Sterben eines Kindes erzählt die Geschichte In Mexiko, in der gerade die hilflose, lähmende Befangenheit der Figuren das Herzzerreißende ist: Darin fliegt eine Mutter ans Sterbebett ihrer erwachsenen Tochter nach Mexiko, fühlt sich dort fehl am Platz und "wie eingeschlossen in einer schaukelnden luftlosen Blase". Von ihren ebenfalls versammelten Söhnen hört sie den Vorwurf: "Du hast Schuld an dem allen. Du bist eine schlechte Mutter. Immer bist du eine schlechte Mutter gewesen. So fair warst du immer, so gerecht. Immer hast du uns Kindern Platz gelassen. Aber das war, weil du uns nicht geliebt hast." Es ist ein klassischer Vorwurf. Aufgelöst kann er nicht werden. Die Großeltern in der Erzählung Blau sieht man durch den Blick der bei ihnen aufwachsenden Enkelin. Streng, schweigsam und leblos scheinen sie dieser, während in ihrem eigenen Leben alles neu, aufwühlend und überdimensional bedeutsam und dramatisch ist. Und doch sind es gerade diese vermeintlich wie auf Schienen dahinrollenden Großeltern, die an einem Punkt völlig überraschend ins Leben ihrer Enkelin eingreifen. Was bleibt, ist die Erleichterung der Enkelin, wider Willen vor sich selbst geschützt worden zu sein, und ein in seine Kaffeetasse hineinlachender Großvater. Diese Szene allein ist grandios.

Ilse Helbichs Erzählungen über das Alter sind eine dringende Empfehlung.

Iststand

Sieben Erzählungen aus dem späten Leben. Von Ilse Helbich

Löcker Verlag, Wien 2007

160 Seiten, kart., € 16,80

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