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Ertraumte Wirklichkeit

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Salzburg, im Jänner. Die Welt, die uns Karl Heinz Hansen, der nach Brasilien ausgewanderte hamburgische Graphiker, in seinen Holzschnitten zeigt, ist wert, näher betrachtet zu werden. Ja, sie weist alle die Merkmale einer vielfältigen Schöpfung auf, die imstande sind, unsere Augen zu öffnen für etwas, das zwar jenseits unserer erbarmungswürdigen Geschicklichkeit liegt, letzten Endes aber doch auf der gemeinsamen Weglinie verläuft, die wir die Straße der „erhabenen Wirklichkeit“ nennen wollen. Hansen zeigt uns vor allem Menschen, und i n diesen Menschen keine vorgefaßte Meinung, von der Angst des Blutes, sondern ein völlig neues — weil uraltes! — Bild vom einfachen Menschentum. Blatt auf Blatt beweist, wie dieses schwierige, heute zu 90 Prozent funktionslose “Holzschneidehandwerk bei Hansen zu einem erregenden Symbol der Leidenschaften, und zwar der Leidenschaften unseres Zeitalters wird. Wir haben es hier mit keinem abgeklärten Niveau zu tun, sondern mit einem Ringenden, der in seine bewegungsvolle Arbeit den Rhythmus der Ströme,den unveränderten Adel der Tiere, den Tod einei Hafengasse, die schwebende Stille eines Trauerhauses und die Kraft und den mächtigen Untergang der Städte zwingt. Das alles erhält seine Gültigkeit durch die Fähigkeit einer kaum stationären Meditation, die dem Künstler zu eigen ist. „Der Traum ist alles“ — ich glaub**, daß er allein es ermöglicht, diese Erde zu sehen. Was nicht geträumt ist, ist ja auch nicht gelebt. Traum ist eine Art höhere Arbeit. Wer sie nicht duldet, hat keinen Zugang zu dieser Kunst. Somit auch nicht zu Hansen, dessen Blattei (der flache Strich, der Mut zur bedingungslosen Zerschlagung des auf einem ganzen Jahrhundert lastenden „Ideals“ einer selbstgefälligen Gattung) eigentlich eine große Freude bereiten müssen, weil sie uns beweisen, daß der Holzschnitt noch lebt, weil sie Religion haben und weil ein paar Blätter der letzten Zeit — thematisch in Brasilien zu Hause — an gewisse Höhepunkte im Werke des machtvollen Edvard Münch heranreichen.

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