Loslassen: "Eva im Land der verlorenen Schwestern"
Unser Lektorix des Monats.
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Loslassen
Die Doppelseite gibt den Blick frei auf eine Schaukel, zwei Schaukelbretter hängen still und unbewegt nebeneinander, werfen ihre Schatten. Die dick aufgetragene Hintergrundfarbe gibt in kräftigen Pinselstrichen die Anmutung von einer Wiese mit einzelnen Sonnenflecken wieder, vertrocknete Blätter fallen durchs Bild. Auch hier viel Schatten, an dessen Rand ein kleines Mädchen steht - sehr einsam: "Die Leute sagen, dass Lisa und Eva unzertrennlich sind, aber die Leute reden ja viel." Lisa, die Schwester, ist gestorben und seither ist Eva "im Land der verlorenen Schwestern", dem Land, in dem man traurig sein darf. Dort, wo die Zimmer immer zu groß und die Nächte immer zu dunkel sind. Wo die Verlorenheit dazugehört mit all ihren widersprüchlichen Gefühlsebenen. Eva fühlt sich in ihrer Trauer und ihrem Schrecken über den Verlust isoliert von den anderen, als wäre sie abgeschnitten in diesem "anderen Land". Alles rund um Eva erinnert noch an die tote Schwester - sogar die Wolken haben ihr Gesicht. Die Gesichter der Freunde hingegen zeigen Mitleid, Rücksichtnahme. Eva fühlt sich nicht wohl dabei. Als wäre eine hohe Mauer zwischen ihr und den anderen. Aber nach und nach wird es möglich, mit den Freunden wieder zu reden und zu überlegen, was wohl passiert, wenn jemand gestorben ist; in den Bildern kehrt wieder Frühling ein. Vorschnell harmonisiert oder einfach abgetan wird hier allerdings nichts: "Aus dem Land der verlorenen Schwestern kann man nie mehr heraus." Nur die Nächte werden langsam wieder heller. Wo der Prozess der Trauer - gerade auch bei Kindern - derart ernsthaft wahrgenommen wird, da besteht der Trost im Erkennen, dass es eines Tages nicht mehr so weh tun und der Kummer seinen Platz im Herzen gefunden haben wird. Ein bemerkenswert stilles, sanftes und dabei nichts beschönigendes Buch, das Zeit hat und Zeit gibt, wenn Trauer zum Thema wird.
Ein Buchtipp von STUBE, Institut für Jugendliteratur und DIE FURCHE
Eva im Land der verlorenen Schwestern
Von Thierry Robberecht
Illustriert von Philippe Goossens
Aus dem Niederländischen von Isabelle Fuchs
Verlag Sauerländer bei Patmos, Düsseldorf 2004
32 Seiten, geb., e 13,30