Lektorix - © Rainer Messerklinger

Trauma und Transformation

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Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur.

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„Krieg und Frieden“, „Doktor Schiwago“ oder „Im Westen nichts Neues“ (durch seine Oscar-nominierte Netflix-Verfilmung wieder in aller Munde) – die Schrecken des Krieges sind ein Thema, das in der Literatur intensiv behandelt wird. Zentrale Perspektive ist dabei meist eine männliche, berichtet wird oft von militärischen Handlungen.

Auch Julya Rabinowich, wichtige Stimme der österreichischen Gegenwartsliteratur und wache Kommentatorin des politischen Geschehens, erzählt in ihrem dritten Jugendroman um das junge Mädchen Madina („Dazwischen: Ich“ erschien 2016, „Dazwischen: Wir“ 2022) vom Krieg und seinen Folgen, wählt jedoch eine gänzlich andere Perspektive. Und einen ungewöhnlichen Ausgangspunkt, denn der Roman setzt mit einer unglaublichen Nachricht ein: „Dein Krieg, Madina. Euer Krieg ist vorbei!“ Gemeinsam mit ihrer Tante Amira, einer der komplexesten und damit interessantesten Figuren der Romantrilogie, bricht sie in ihr nicht näher benanntes Herkunftsland auf, um den Vater zu suchen.

Sie findet ihn allen Widrigkeiten zum Trotz ‒ dennoch bringt diese Reise neben dem Aufdecken familiärer (Schuld-)Verstrickungen auch einen tragischen Verlust. Madina ist mittlerweile in ihrem letzten Schuljahr, an der Schwelle zum Erwachsenwerden, und damit stellt sich in neuer Dringlichkeit die Frage, inwieweit sie weiterhin die Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Familie auf sich nehmen kann – und will. Gespeist wurde der Roman von zahlreichen Gesprächen, die Julya Rabinowich als Dolmetscherin mit Kriegsüberlebenden und Folteropfern geführt hat.

Sensibel und doch sehr klar rückt die Autorin mit dem Thema sexualisierter Gewalt gegen Frauen einen Aspekt von Kriegsverbrechen in den Fokus, der allzu oft ignoriert wird. Ihr Blick ist ein feministischer – rund um Madina wird eine Reihe bemerkenswerter Frauenfiguren gruppiert, ob in ihrer Kernfamilie, der Schule oder jenem Netzwerk darüber hinaus, das sie über alle Schwierigkeiten hinweg trägt. Dass die Lektüre bei aller Drastik des Themas erträglich bleibt, liegt nicht zuletzt an der besonderen Erzählstimme von Madina, deren Tonalität sowohl jugendliche Flapsigkeit (inklusive Schimpfwörtern), aber auch große Poesie beinhaltet. So wird literarisch auf hohem Niveau deutlich, dass der Krieg nie zu Ende geht: „Ein Krieg ist nie vorbei, das weiß ich jetzt. Er kriecht den Menschen, die ihn überstanden haben, unter die Haut wie Stacheldraht und Kugeln, er breitet sich im Blutstrom aus, dunkel und kalt, er vergiftet weiter und weiter und weiter.“

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