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Friedensforscher Hans-Georg Ehrhart über den Ausgang im Krieg in der Ukraine

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Die nationalistischen Lager in Russland wie in der Ukraine stehen einer Verständigung im Wege, sagt Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) . Ein Gespräch über die Hürden, die den Frieden in der Ukraine verunmöglichen.

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Die nationalistischen Lager in Russland wie in der Ukraine stehen einer Verständigung im Wege, sagt Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) . Ein Gespräch über die Hürden, die den Frieden in der Ukraine verunmöglichen.

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Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg will nicht ausschließen, dass in der Ukraine so lange gekämpft wird, bis der letzte Blutstropfen auf beiden Seiten vergossen ist. Im Interview erklärt er, warum die USA eine mangelnde Friedensbereitschaft an den Tag legen, die Dämonisierung Putins kontraproduktiv ist und das Sterben trotz bereits existierender Back-Channel-Gespräche weitergehen wird.

Die Furche: Herr Ehrhart, in einem aktuellen Beitrag für die „ZAFS“ („Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik“, Anm. d. Red.) skizzieren Sie drei Szenarien für den Ausgang des Krieges: In einem gewinnt Russland, im anderen die Ukraine, im dritten kommt es zum Patt. Sieht es derzeit nach einem Patt mit Vorteilen für Russland aus?
Hans-Georg Ehrhart:
Ich würde sagen, es gibt eine Pattsituation und Russland hat gewisse Vorteile, die sich aus der misslungenen Offensive der Ukraine ergeben, die hohe Kosten an Menschenleben und Material verschlungen hat und Kiew vor große Probleme stellt. Zugleich sollte man die russischen Erfolge nicht überbewerten. Zwar ist Russland in der Lage, die Ukraine auf ihrem gesamten Gebiet weiter zu attackieren, zu versuchen, Landgewinne zu erzielen – doch nach meiner Einschätzung hat die Ukraine inzwischen auf eine defensive Strategie umgestellt, tut das, was die Russen vorher taten: sich eingraben und die Stellungen halten.

Die Furche: Seitens der Ukraine gibt es einen Friedensplan, der aber eher unrealistische Maximalforderungen enthält. Womit könnte sich Russland zufriedengeben, um den Krieg zu beenden – und zwar kurz- und langfristig?
Ehrhart:
Das ist schwer einzuschätzen. Wladimir Putin ist insofern nicht zu trauen, weil sich seine Haltung von einem auf den anderen Tag ändern kann. Zurzeit sieht es so aus, als ob er – ich formuliere es vorsichtig – mit dem zufrieden sein könnte, was er hat. Das heißt, er will die eroberten ukrainischen Oblaste – Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja – behalten. Aus russischer Sicht sind sie bereits in den russischen Staat integriert, gleichwohl kann er sie, anders als die Krim, noch nicht ganz beherrschen – und ob es gelingt, ist offen. Es hängt davon ab, wie schnell die Ukraine neue Waffen aus dem Westen bekommt und in der Lage sein wird, die Defensive auszubauen, um die Kosten für Russland durch weitreichende Waffensysteme hochzuhalten.

Die Furche: Nach Verhandlungen sieht es aktuell nicht aus. In einem Beitrag in „der Freitag“ argumentieren Sie, dass sowohl der russische als auch der ukrainische Nationalismus sowie die Dämonisierung des Gegners Hindernisse einer Verständigung sind. Wollen beide Seiten bis zum letzten Bluttropfen ihrer Soldaten kämpfen?
Ehrhart:
Das ist immer eine Gefahr im Krieg, der kein Ende findet, weil Kräfte der Verständigung, die es ohnehin schwer haben, sich kaum durchsetzen können. Die nationalistischen Lager beider Seiten wollen alles auf eine Karte setzen, und durch die Dämonisierung des Gegners können sie auch nicht bereit sein, sich mit diesem Dämon an einen Tisch zu setzen. Das ist einerseits verständlich, wenn man das Leid sieht, das die Ukrainer erlitten haben. Auf der anderen Seite sind es Hürden, die es extrem schwierig machen, Konzessionen zu machen, wenn es denn zu Verhandlungen käme. Diese Dämonisierung zu überwinden ist äußerst schwierig, wir kennen es aus vielen anderen Konflikten, bei denen es aber schließlich doch zu Verhandlungen kam. Ein Waffenstillstand oder ein Friedensschluss wird dadurch also erschwert, aber nicht verhindert. Spätestens wenn beide Seiten erschöpft sind, setzen sie sich an einen Tisch.

DIE FURCHE: Verbauen sich die Staaten des Westens, auch wenn sie selbst keine eigenen Toten zu beklagen haben, ihrerseits mit der Dämonisierung Putins nicht ebenfalls den Weg zu Verhandlungen?
Ehrhart:
Ja, es gibt auch bei einigen westlichen Politikern und auch in einigen Medien eine gewisse Form der Dämonisierung. Dort gilt es fast schon als unmöglich, mit Putin irgendeinen Deal zu machen. Es gibt natürlich das Argument, dass man Putin nicht vertrauen kann, weil er nicht das mache, was er sage. Da ist was dran. Doch dieses gilt nicht nur für Putin, sondern allgemein für Politik. Feststellen, ob es so ist, kann man nur, wenn man es ausprobiert und sich an einen Tisch setzt. Wenn Vereinbarungen dann nicht eingehalten werden, gibt es Möglichkeiten der Absicherung, etwa über Sanktionen, die man aus- und wieder einsetzen kann. Es ist normal, dass Akteure, die gegeneinander Krieg führen, einander nicht vertrauen. Doch es sollte die Parteien nicht hindern, zu verhandeln, wenn beide einsehen, dass militärische Gewalt sie nicht weiterbringt.

DIE FURCHE: Aus dem Westen gibt es derzeit keine Signale, einen Waffenstillstand anzustreben. Sie argumentieren in Ihren Veröffentlichungen, Verhandlungen könnten China in die Vermittlerrolle bringen und damit aufwerten, was die USA verhindern wollen. Ist dadurch die mangelnde Friedensbereitschaft auch der USA erklärbar?
Ehrhart:
Natürlich spielt China im Hintergrund eine Rolle, weil es aus US-Sicht der eigentliche große Spieler ist und dies einen der Gründe darstellt, warum sich die USA im Ukrainekrieg so stark engagieren, weil sie Taiwan im Blick haben und nicht zeigen wollen, dass sie klein beigeben. Doch der entscheidende Grund für fehlende Verhandlungen liegt darin, dass beide Seiten – der Westen mit der Ukraine sowie Russland – jeweils hoffen, Maximalziele durchsetzen zu können. Das aber wird nicht funktionieren. Laut Gerüchten gibt es zwar Back-channel-Gespräche, also inoffizielle Kanäle, wo versucht wird, herauszufinden, was möglich wäre, um Vorgespräche zu Verhandlungen zu führen. Solange es aber keine Bewegung gibt, wird weiter gekämpft – und weiter gestorben.

DIE FURCHE: Würden Sie sagen, dass aus westlicher Sicht im Kern nicht die Interessen der Ukraine entscheidend sind, sondern der Krieg den Konflikt zwischen russischen und auf westlicher Seite insbesondere amerikanischen Interessen spiegelt? Ist dieser Krieg ein Stellvertreterkrieg?
Ehrhart:
Ich denke ja. Für eine gewisse Denkschule in den USA, die Realisten, ist das so. Sie sehen Moskau immer noch als einen Hauptkonkurrenten, zwar nicht mehr auf dem gleichen Level wie China, aber immer noch als wichtigen Konkurrenten. Und wenn es möglich ist, ohne eigene Soldaten zu opfern, einen Gegner wie Russland zu schwächen, ist das aus deren Sicht strategisch sinnvoll. Zu dieser Denkschule gehören große Teile des außen- und sicherheitspolitischen Establishments der USA.

Zurzeit sieht es so aus, als ob Wladimir Putin mit dem zufrieden sein könnte, was er hat: nämlich die eroberten Oblaste.

DIE FURCHE: Wie schätzen Sie in diesem Kontext die Gefahren einer weiteren Eskalation ein, gerade auch wenn die Ukraine es schaffen sollte, die Russen aus den eroberten Gebieten zurückzudrängen?
Ehrhart:
Es ist das Ziel der Ukraine und der westlichen Diplomatie, die Gebiete wiederzuerobern. Noch glauben viele, es könne militärisch erreicht werden, doch das sehe ich nicht so. Die Phase, in der das möglich gewesen wäre, zumindest unter Ausschluss der Krim, ist lange vorbei. Sollten dennoch die ukrainischen Gebiete bis zur Krim erobert werden können, wäre spätestens dann der Punkt erreicht, an dem die russische Führung unter Zugzwang käme. Dann täte sie alles, um – aus ihrer Sicht – russisches Gebiet zu behalten. Denn diese Gebiete sind in den russischen Staatsverbund integriert worden. Laut russischer Verfassung ist es unmöglich, diese wieder zurückzugeben. Diese Tatsache macht einen künftigen Kompromiss extrem schwierig, denn Russland müsste auf eroberte Gebiete verzichten, die aus völkerrechtlicher Sicht natürlich ukrainische Gebiete sind.

DIE FURCHE: Laut einer Umfrage in der Ukraine wollen 51 Prozent der Befragten ein Kriegsende „nur mit einem Sieg“, während 36 Prozent bereit sind, „begrenzte Kompromisse“ zu machen. Glauben Sie, dass angesichts der Lage die Zahl der zu Kompromissen bereiten Ukrainerinnen und Ukrainer steigen könnte?
Ehrhart:
Die Zahl derjenigen, die zu keinerlei Zugeständnissen bereit waren, lag in der ersten Kriegsphase bei weit über 80 Prozent. Natürlich sehen die Ukrainer die Notwendigkeit, weiterzukämpfen, aber auch die Problematik, die dieser Krieg bringt. Ich habe den Eindruck, dass sich nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland eine gewisse Kriegsmüdigkeit breitmacht. Sie mag in Russland vielleicht noch nicht so sichtbar und in der Ukraine noch nicht mehrheitlich sein, aber die Tendenz geht in beiden Ländern dahin. Hoffentlich führt das dazu, dass auch die politischen Eliten darauf Rücksicht nehmen, aus ihren verbauten Stellungen ausbrechen und nach anderen Wegen suchen.

DIE FURCHE: Zumal es in der Ukraine immer mehr Probleme bei Neurekrutierungen gibt.
Ehrhart
: Das Problem der Ukraine ist, dass die Soldaten an der Front nicht ausgetauscht werden können, sie keine Erholungsphasen haben, sondern weiterkämpfen müssen, weil zu wenig Ersatz da ist. Der ukrainische Verteidigungsminister hat jüngst vorgeschlagen, 450.000 bis 500.000 neue Rekruten einzuziehen, was eine große Debatte ausgelöst hat, auch weil die gesetzlichen Grundlagen offenbar nicht so klar sind. Nun ist man dabei, diese zu schaffen. Es gibt immer mehr Berichte darüber, dass ziemlich hart durchgegriffen wird und Wehrpflichtige vom Arbeitsplatz geholt werden. Aufgrund des Kriegszustandes sind alle 18- bis 60-Jährigen wehrpflichtig, wenn sie einen Einberufungsbescheid bekommen. Die Frage ist: Wie setzt man das um? In Russland hat man Männer aus dem Gefängnis an die Front geschickt und großzügige Prämien an Vertragssoldaten gezahlt. Jetzt lässt man diese nicht mehr nach Hause, mit der Begründung, der Vertrag laufe unbefristet weiter. Russland ist also im Vorteil, weil es eine größere Bevölkerung hat, bei der Rekrutierung rücksichtsloser vorgeht und hohe Solde zahlt, was besonders für Männer aus ärmeren Regionen attraktiv ist.

Wenn es möglich ist, – ohne eigene Soldaten zu opfern – einen Gegner wie Russland zu schwächen, ist das für einen Teil der US-Denkschulen strategisch sinnvoll.

DIE FURCHE: Angesichts der schwierigen Situation der ukrainischen Truppen: Könnte ihre Taktik in den kommenden Monaten eventuell darin bestehen, gezielte „Nadelstiche“ auf russischem Gebiet zu setzen? Wenn ja – wie wird Russland darauf reagieren?
Ehrhart:
Ich denke, es wird in diese Richtung gehen, weil die Ukraine einfach nicht mehr die Fähigkeit hat, auf breiter Front anzugreifen. Sie wird sich eingraben, versuchen, über Nadelstiche mit entsprechenden Waffen Langstreckenziele zu erreichen. Das hat sie bereits getan. Inwieweit es zur Eskalation beiträgt, ist schwer zu sagen. Die größte Gefahr ist eine ungewollte Eskalation, über Missverständnisse. Aber solange die Kriegshandlungen die Pattsituation nicht überschreiten, halte ich diese Gefahr für vergleichsweise gering. Nur wenn die Pattsituation überwunden würde, würde die gegnerische Seite alles hineinwerfen. Das wäre extrem heikel.
Genau daher sollte man die jetzige Lage nutzen – aus ethischen und aus politischen Gründen. Russland wird niemals die ganze Ukraine beherrschen, und die Ukraine wird wohl auch nicht alles zurückerobern. Die einzige Chance für sie, die Gebiete zurückzuerhalten – ein legitimes Ziel –, ist ein langfristiger politischer Prozess, der ein Ende des Krieges voraussetzt: mit einem Waffenstillstand, einem Einfrieren des Konflikts vorab; und dann Friedensverhandlungen.

Ehrhart

Hans-Georg Ehrhart

Der Forscher arbeitet seit 1989 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) der Universität Hamburg, leitete von 2008 bis 2018 das Zentrum für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) und ist seit 2018 Senior Research Fellow. Er forscht zu Themen der Friedens- und Konfliktforschung sowie der internationalen Beziehungen.

Der Forscher arbeitet seit 1989 am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) der Universität Hamburg, leitete von 2008 bis 2018 das Zentrum für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) und ist seit 2018 Senior Research Fellow. Er forscht zu Themen der Friedens- und Konfliktforschung sowie der internationalen Beziehungen.

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