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Lea Singers Künstlerroman "Vier Farben der Treue" führt ins Jahr 1935.

Letztlich hat sich das befürchtete Gewitter dann doch nicht über Salzburg und Schloss Leopoldskron entladen: "Es hatte keinen Wolkenbruch gegeben, keinen klirrenden Donner, keinen dramatischen Wechsel. […] Pausenlos und erregungungslos kam das Wasser vom Himmel. Und es schien so, als tränkte der Dauerregen nicht nur die ausgetrockneten Wiesen und Hecken, sondern auch die nach Friedlichkeit dürstenden Seelen der Gäste auf Schloss Leopoldskron." Die Meteorologie eines schwülen Augusttages wird in Lea Singers historischem Künstlerroman Vier Farben der Treue zum Bild für Emotionen und kollektive Stimmungslagen.

Man schreibt das Jahr 1935. In Deutschland haben die Nazis ihre Machtposition weiter ausgebaut: Das Saargebiet ist wieder an das Deutsche Reich angegliedert, die Wehrpflicht eingeführt und die Aufrüstung der Wehrmacht beschlossen worden; Leni Riefenstahls Parteitagsfilm Triumph des Willens wird uraufgeführt und in Venedig ausgezeichnet, die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 1936 laufen auf Hochtouren und im September wird Hitler die "Nürnberger Rassengesetze" verkünden.

Auch in Österreich sind die Nationalsozialisten auf dem Vormarsch. Nur die Kunst scheint hier noch ein Refugium vor der braunen Barbarei zu behaupten. Schloss Leopoldskron, die Residenz von Max Reinhardt, und Salzburg mit seinen Festspielen werden zum Treffpunkt von Theaterproduzenten und Salonieren, Primadonnen und Stardirigenten, Komponisten und Schauspielerinnen, die das Nazi-Regime ablehnen. Statt schwarzer Uniformen sieht man hier noch helle Leinenanzüge, statt Dirndl-Look mondäne Cocktailkleider, und das unterkühlte Cross-Dressing der Neuen Sachlichkeit konkurriert erfolgreich mit der Krachledernen, in der gelegentlich Carl Zuckmayer oder Rudolf Forster posieren.

In diesem Glamour und Urbanität ausstrahlenden Ambiente mit Max Reinhardt und seiner Frau Helene Thimig als gesellschaftlichem Mittelpunkt lässt die Autorin - nicht ohne spannungsverheißende Pikanterie - so unterschiedliche jüdische und nicht-jüdische Künstler und Künstlerinnen und Personen des kulturellen Lebens zusammentreffen wie Kurt Weill und Bertha Zuckerkandl, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Ferenc Molnár und Lili Darvas, Rudolf Forster und Fritzi Massary, Meyer W. Weisgal und Carl Zuckmayer, Arturo und Carla Toscanini sowie das Geschwisterpaar Eleonora und Francesco von Mendelsohn. Es sind die Politik, die Kunst und die Liebe, die sie alle nach Leopoldskron führen. Während Kurt Weill, mit Lotte Lenya inzwischen wieder versöhnt, als Gast hier weilt, weil er eine von Werfel getextete Bibelrevue vertonen soll, für deren Inszenierung der Zionist Weisgal Reinhardt gewinnen will, ist die von ihren Ehen enttäuschte Eleonora von Mendelsohn entschlossen, entweder den mittlerweile in zweiter Ehe lebenden Reinhardt oder den sexuell nach wie vor rastlosen Toscanini - mit beiden verbindet sie eine Affäre - wieder zurückzugewinnen und mit einem von beiden in die USA zu emigrieren.

Ein Plot mit reichlich Stoff für tiefgründige Auseinandersetzungen über Ästhetik und Politik, Kunst, Liebe und Verrat. In der Tat: Man unterhält sich in unterschiedlicher Konstellation auf mediterran bepflanzten Terrassen, begegnet sich zufällig in der Schloßküche, räsoniert im mit gnomhaften Fabelwesen ausgestatteten Park und umgeben von Weihern mit schwarzen Schwänen über Rassenideologie und erotische Exzesse, findet sich in der Bibliothek des Hausherrn ein, wo man über die Zeitsituation disputiert, oder konversiert mit gepflegt-müdem Esprit beim abendlichen Souper.

Über die Perspektive der glücklosen Eleonore von Mendelsohn eröffnet sich ein boulevardesker Rahmen, der mehr und mehr Kunst und Politik in den Hintergrund drängt. Die auftretenden Figuren reproduzieren nur allzu willfährig das Kulturstereotyp von Genie und Muse und die Klischees vom cholerischen Künstler-Erotomanen, der nymphomanen femme fatale und der weltbürgerlich-mütterlichen Salondame. Ihre Gespräche bieten wenig Überraschungen, dagegen manches Sprachklischee ("Ein Mädchenlächeln schien auf in Bertas altersweichem Gesicht") und manche Platitüde, wie jene, dass sich hinter der Sehnsucht nach Exzess doch die Sehnsucht nach Ordnung verberge. Rasch sind die einstigen VIPs bei den Liebesaffären der Mitgäste, ihren privaten Hoffnungen, Kränkungen und Enttäuschungen angelangt.

Die außergewöhnliche Persönlichkeit, der Blick auf ihr Liebes-und Lebensschicksal wird zum Dreh-und Angelpunkt dieses Boulevardromans, wobei die literarische Fiktion das ausschmückt und bestätigt, was Briefe und Zeitdokumente verbürgen oder auf dem Markt befindliche Biographien und Autobiographien diskursiv darlegen.

Vier Farben der treue

Roman von Lea Singer

Deutsche Verlags Anstalt, München 2006. 219 Seiten, geb., € 18,40

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