Reisen durch die Realitäten

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Wer aufbricht, ist am Ende der Reise oft ein anderer. Das gilt auch für die Protagonisten in Najem Walis Roman "Die Reise nach Tell al-Lahm" und in Nagib Machfus' Roman "Die Reise des Ibn Fattuma".

Ich rieb mir verwirrt die Augen, konnte noch nicht auseinanderhalten, was Wirklichkeit war und was Einbildung, was Alpdruck und was Wunschdenken..." Die Worte des Ich-Erzählers zu Beginn des Romans könnten die Worte des Lesers sein, zu Beginn der Lektüre, aber auch noch an deren Ende. Najem Walis Roman "Die Reise nach Tell al-Lahm" wirkt wie ein Traum, stellenweise wie ein Alptraum.

Das Klingeln der Türglocke reißt des Iraker Najem aus dem Schlaf. Er ist drei Tage zuvor aus dem Krieg gekommen, einem Krieg, über den er nicht sprechen wird, und der sich aber stets präsent wie der erste Krieg durch die Handlung zieht. Denn das Land, das der Leser zu sehen bekommt, ist von diesen Kriegen gebeutelt. Bordelle, die als "neue Häuser für den notwendigen Dienst" den Soldaten zur Seite stehen, Frauen, die versuchen sich zu emanzipieren und sich dennoch vor der Hochzeit ihre Jungfernhäutchen wieder annähen lassen müssen, das alles und viel mehr begegnet auf der nun folgenden Reise des Ich-Erzählers mit seiner Nachbarin, von der er glaubt, dass sie Ma'ali heißt.

Ziel der Reise ist Tell al-Lahm, ein Ort mit einem "Hotel der Ratlosen" und einem "Café Hoffnung", ein Ort, an dem sich zu guter Letzt einiges aufklären wird. Die vermeintliche Ma'ali erzählt auf der Fahrt ihre Geschichte, oder zumindest Varianten davon, und in ihrer gemeinsamen Erinnerung tauchen auch die Kriege des Irak auf und der nie mit Namen genannte Verursacher allen Übels, der mit Stalin und Hitler in eine Reihe gestellt wird, dessen diktatorischer Willkür ein ganzes Land und seine Nachbarländer unterworfen waren. Der Autor macht aus seiner Sicht auf sein Heimatland in diesem Roman keinen Hehl.

1956 im irakischen Basra geboren, ist Najem Wali 1980 nach Ausbruch des Iran-Irak-Krieges nach Deutschland geflohen. Die arabische Originalausgabe des Romans "Tell al-Lahm" erschien 2001 in Beirut und wurde in Ägypten, Jordanien, Syrien, Kuwait und Saudi-Arabien verboten. Nun ist die literarische Reise - die neue Ausgabe wurde gemeinsam mit dem Autor vollständig überarbeitet - auf Deutsch zu erleben.

Die Reise nach Tell al-Lahm

Roman von Najem Wali

Aus d. Arab. v. Imke Ahlf-Wien. Überarb. Ausg. 2004

Hanser Verlag, München 2004

319 Seiten, geb., e 22,10

Als der Ägypter 1988 den Literaturnobelpreis zugesprochen bekam, gab es auch arrogante Töne aus deutschsprachigen Feuilletons. Inzwischen ist zum Glück zumindest hierzulande Nagib Machfus' internationale Rolle als wichtiger Schriftsteller anerkannt, gibt es viele seiner Bücher in deutscher Übersetzung und durfte auch die Eröffnungsrede der diesjährigen Frankfurter Buchmesse aus seiner Feder kommen.

Das Buch, das der Unionsverlag, dem seit Jahren das Verdienst zukommt, fremde Kulturen dem deutschsprachigen Leser näher zu bringen, nun neu herausgebracht hat, ist nicht neu, sondern aus dem Jahr 1983. In seiner allegorischen Form und seinem humanistischen Anliegen freilich ist es nach wie vor aktuell. "Die Reise des Ibn Fattuma" führt diesen durch verschiedene Gesellschaftssysteme. Beheimatet im "Land des Islam", wird der streng gläubig orientierte, aber durchaus neugierige junge Reisende konfrontiert mit anderen Systemen. Eine Reise, die die Erfahrung von Freiheit und Gefängnis, Liebe, Ehe, Kinder und Tod umschließt und den Reisenden mehr und mehr erkennen lässt, wie fehlerhaft das Land seiner Herkunft, das ihm zunächst noch als beste aller möglichen Welten erschienen war, doch ist.

Machfus greift in seinen märchenhaften Roman bekannte Motive aus der Reiseliteratur auf, die im arabischen Raum über Jahrhunderte prägend war. Die Systeme, die Ibn Fattuma durchwandert, sind aber durchaus als heutige zu erkennen: Diktatur, Sozialismus, schließlich auch ein Land der Freiheit, vor allem der Freiheit der Religionen. Was mitteleuropäischen Lesern vielleicht harmlos erscheint, war politisch durchaus brisant. Die allegorische Form lässt zu, dass Machfus laut über andere Möglichkeiten, Visionen nachdenken kann, etwa über andere Formen mit Sexualität umzugehen, über Bürgerbeteiligung, und last not least über einen toleranten Umgang gegenüber anderen Religionen. Machfus' Einsatz für einen besonnenen Fortschritt in seinem Heimatland Ägypten brachte ihn bekanntlich in Gegensatz zu islamischen Fundamentalisten, was 1994 sogar zu einem Attentat auf ihn führte.

Die Reise des Ibn Fattuma

Von Nagib Machfus

Aus d. Arab. v. Doris Kilias

Unionsverlag, Zürich 2004

184 Seiten, geb., e 19,50

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