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Roman als Dialog mit dem Leser

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BELARMINO UND APOLONIO. Roman. Von ftamön Perez de Ayala. 280 Seiten. Preis 14.80 DM.

TIGER JUAN. Roman. Von Ramön Perez de Ayala. 340 Seiten. Preis 16.80 DM. Beide: Verlag Suhrkamp, Frankfurt am Main.

Die moderne spanische Lyrik ist rasch bei uns bekanntgeworden, die Namen Garcia Lorca, Ramön (imenez, Rafael Alberti und Pablo Neruda sind den Gebildeten geläufig; der moderne spanische Roman blieb uns dagegen bisher weitgehend verschlossen. Hier ist Ramön Perez de Ayala (geboren 1881 in Oviedo, lebt in Madrid) eine der überragenden Erscheinungen. Zwei seiner bedeutenden Romane (die schon 1920 bzw. 1925 geschrieben wurden) legt nun der Suhrkamp-Verlag in einer sprachlich schönen Übertragung von Wilhelm Muster vor. Ihm ist dafür zu danken.

Die Fabel der Bücher linear nacherzählen, hieße sie entstellen, denn es geht gar nicht um die Fabel, sondern um die Arabesken, die sich kunstvoll um den Faden der Handlung schlingen. Es geht um ein paar Menschen, ein paar Leute, die uns alle ein wenig wundersam und versponnen vorkommen mögen, die aber in ihren Irrungen und Wirrungen ungemein sympathisch sind. Da sind in „Belannino und Apolonio“ die beiden Schustersleute, der Nobelschuster Apolonio und der Flickschuster Belarmino, der eine das dramatische, der andere das philosophische Temperament, und ihre beiden Kinder, Pedrito. der Priester wird, und Augustias, die darum unglücklich wird. Und da sind die vielen anderen Angehörigen der beinahe archaisch anmutenden Welt des imaginären spanischen Provinzstädtchens Pilares, das für Perez de Ayala das Zentrum der Welt ist (auch „Tiger Juan“ spielt dort).

Die Kapitel des Romans „Belarmino und Apolonio“, die die Geschichte der beiden Schustersleute und ihrer Kinder nur zögernd preisgeben, sind umrahmt von Betrachtungen eines Pensions-Philosophen und eines Studiosissimus, die die hier anklingenden ewigen Themen, die den Menschen beschäftigen, als da sind Liebe und Mißverstehen, Ehre und Verzeihen, mit weisem Humor kommentieren. Im Anhang findet sich ein Wortverzeichnis mit „Wörtern aus dem belarminianischen Sprachschatz“ — denn wie jeder echte Philosoph hat auch der Schuster Belarmino seine eigene Sprache entwickelt. Ein paar Kostproben daraus sollen auf knappstem Raum den zugleich subtilen und handgreiflichen Humor Perez da Avalas anklingen lassen:Herminia und die vom „Bader seiner Ehre“, dem ehrenwerten Bader luan Guerra auf dem Hauptplatz von Pilares, einem Mann von großer Körperkraft und kindlichem Gemüt, der auch all die Konflikte austragen muß, die dem Menschen hier auf der Welt einmal nicht erspart bleiben. Wenn etwas an „Tiger Juan“ stört, so ist es eine Äußerlichkeit: nach der (vorübergehenden) Trennung vpn Tiger Juan und Herminia läuft ihr Leben eine Zeitlang parallel voneinander ab — und der Romancier versucht, diesen Zustand dadurch darzustellen, daß er auf der linken Seite den „Fluß des Lebens Tiger Juans“, auf der rechten den Herminias darstellt. Da man diese Geschichten aber doch nicht gleichzeitig lesen kann (etwa mit dem einen Auge dort, mit dem anderen da), muß man immer wieder zurückblättern, und es wäre deshalb gescheiter gewesen, die beiden Geschichten, mögen sie sich noch so gleichzeitig abgespielt haben, hintereinanderzusetzen.

Aber das bleibt ein einzelner Einwand angesichts der sprachlichej Meisterschaft und eigenwilligen Form Ramön Perez de Ayalas. Er schreibt einen Dialog mit dem Leser: immer wieder unterbricht 6ich der Erzähler und schaltet Exkurse ein, wie die „Abhandlung Don Guillens über die Poesie des Breviers“ und die „Abhandlung über die Glückseligkeit“ (in Don Guillen erkennen wir Pedrito) — das könnte langwierig, ja langweilig sein, wäre es nicht so amüsant, daß man sich all diese Traktate und Exkurse immer wieder laut vorliest und bedauert, daß man kein Publikum dabei hat.

Perez de Ayala erzählt uns von verschiedenen Leuten, typische Spanier alle, die' jeder ein Stück Wahrheit besitzen und scheitern, wenn sie es verabsolutieren wollen, die ihr Leben und Schicksal mit allerhand Spitzfindigkeiten deuten und drehen, es sich erleichtern und erschweren, und die glücklich werden, wenn sie sich bescheiden. Dabei ist eine spielerische Intelligenz am Werk, die die Erscheinungen ordnet und gestaltet, indem sie nur Spaß zu machen scheint. Die Bücher Ramön Perez de Ayalas sind Werke des Homo ludens: Bücher der Weltliteratur, die man mit Vergnügen liest.

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