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Das gute alte Recht...!

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Lange lahrzehnte herrschte in spanischen Dingen die „Schwarze Legende“. Der liberale Mythos hatte sich in Spanien den Feind geschaffen, die Gegenseite„ an der sich — nach Karl Mayscher Romantechnik — die strahlenden Helden zu erproben hatten. In deutscher Sprache hatten gleich beide Dichterfürsten je ein Drama verfaßt, welches diesem Schema Vorbild war: Don Carlos und Egmont hatten beide den spanischen Philipp zum Widersacher. Im liberalen Weltbild war der Platz Spaniens eindeutig: es stand dort, wo auf mittelalterlichen Weltgerichtsbildern rechts unten der nachtschwaTze Höllenrachen gähnt. Außerdem war und ist Spanien, was für den liberalen Kapitalisten am schändlichsten ist: arm.

Man hat sich zwar in Österreich gewöhnt, darauf hinzuweisen, wie Grillparzer die großen Spanier nachgedichtet hat. Es scheint mir aber eine patriotische Illusion zu sein, wenn man damit bewiesen glaubt, Österreich habe damit einen lebendigen Zusammenhang mit Spanien bewahrt. Nein: auch wen die „Schwarze Legende“ nicht beherrschte, der sah in Spanien doch mehr ein ethnographisches Kuriosum. Sowenig man vor 50 lahren einen bulgarischen Autor gelesen hätte, sowenig las man einen spanischen.

Das hat sich gründlich gewandelt. Spanien wird ernst genommen. Und niemand braucht den Lesern deutscher Sprache Maranön vorzustellen. Jedermann weiß, welch ein vielseitiger und verläßlicher Geschichtschreiber da am Werk ist. Wohl verwertet er seine ärztliche Vorbildung, um näher an seine Personen heranzukommen. Aber das tut er so, daß diese neue Hilfswissenschaft der Geschichte erheblichen Nutzen bringt. Von der wahllosen Proktoskopie eines Cabanes ist keine Spur; alles ist dokumentarisch belegte, ausgewogene Arbeit. Den Autor brauchen wir also nacht erst zu empfehlen; aber seinem heutigen Thema gebührt eine Empfehlung.

Zum erwähnten liberalen Weltbild gehörte auch als „Dorme“, daß erst die Zeit des herrschenden Bürgertums den Rechtsstaat geschaffen habe; vor 1789 und 1848 war eine Zeit unumschränkter Fürstenwillkür. In Österreich speziell hatten allerhand cäsarische Enunziationen des Josephinismus den Eindruck wek-ken geholfen, als hätte der Untertan keine Rechte gehabt; erst der freie Bürger ab 1848 hatte sie alle.

— Nun gebührt ganz gewiß dem liberalen Bürgertum (und den mit ihm verbündeten Habsburgern 0 das hohe Lob, daß vor 1914 ein völlig solider Rechtsstaat bestand. Er bestand damals im ganzen Abendland. Nur zwei Irrtümer waren vorhanden. Erstens: Der Bürger hatte die Mittel nicht, den Rechtsstaat auch im 20. Jahrhundert aufrechtzuerhalten . . . Und zweitens: auch der Untertan der alten Zeit hatte Rechte. E r aber wußte für sie zu kämpfen.

Dies nun ist der Inhalt von M a r a n ö n s Buch.

— Wer war Perez? Und was war mit ihm los? — Perez war ein Vertrauensmann König Philipps II.: und er hatte seinen Herrn zu einer Schandtat überredet: zu einem politischen Meuchelmord. Solche Morde waren damals an der Tagesordnung. Es gehört zu Maratiöns Stil, daß er mit erquicklichem Zynismus von jenen Sitten spricht, ohne sich der Schiller-schen gymnasialen Entrüstung oder der Begeisterung Nietzsches für die vielberufenen Renaissancemenschen je zu nähern. Wie gesagt, politische Morde waren damals üblich, 60 wie auch gemeine Morde häufig waren. Und beides hatte, um das gleich vorwegzunehmen, dieselbe Ursache: Es gab vor Napoleon I. nirgends eine allgegenwärtige Polizei. Der Staat konnte weder jeden gemeinen Mord ahnden (nun, es gibt auch heute Hauptstädte mit unbekannten Mördern) noch konnte der Staat jeden Staatsfeind fassen — was wir gleich sehen werden: also blieb nach Macchiavelli dem Fürsten — „II principe“ — nur der Mord. Doch über dem von Perez angestifteten Mord fiel dieser in Ungnade, und um es kurz zu sagen: Der König mußte fürchten, vom Helfer seines Mordes erpreßt zu werden, und wollte nun diesen unschädlich machen — wenn irgend möglich, im Guten. Dem verhafteten Perez fehlte es an nichts. Aber Perez ging auf des Königs Absichten nicht ein; nun wurde er gefoltert; endlich gelang ihm die Flucht, und er erreichte das Gebiet des Königreichs Aragon.

Und nun entstand einer von jenen Kompetenzkonflikten, wie sie eben nur in Rechtsstaaten möglich sind: in Staaten, da der Souverän über die Rechte von Ämtern und Untertanen nicht verfügen kann.

Perez stand nämlich jetzt unter dem Schutze der „Fueros“, des Staatsrechts der Krone Aragon; und die Gerichte von Aragon würden ihn niemals verurteilen — da ja der König niemals veröffentlichen konnte, worin Perez' eigentliche Schuld bestand. Also was tun? Es gab in Aragon nur ein Gericht, welches den Rechten jener Krone nicht unterstand, sondern dem König gewiß zu Willen sein würde: die Inquisition. Also mußte man eine Anklage auf Ketzerei konstruieren und Perez in das Gefängnis der Inquisition bringen. Doch alle Welt wußte, daß diese Anklage Fiktion war; mithin sollten die Rechte von Aragon verurteilt werden. Und obwohl Perez an sich kein Mensch war, der besondere Sympathien hätte wecken müssen (seine privaten Sitten waren ekelhaft), erhob sich nun zu seiner Befreiung ein Sturm; dem legitimen König, dem Monarchen der Spanischen Reiche, Beider Sizilien, der Niederlande und beider Indien trotzte das Volk von Zaragoza. Und Perez konnte fliehen.

Maranön erzählt dann auch das weitere Leben Perez': das Leben eines erfolglosen Emigranten, dessen Schmähschriften gegen Philipp allenfalls späteren Historikern Freude machten. Aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist das Schicksal der Freiheiten von Aragon. Philipp II. sah sich durch den Aufstand zugunsten Perez' veranlaßt, die gerichtlichen Institutionen von Aragon umzustürzen. Staatsrechtlich führte die Krone Aragon zwar ein Eigenleben weiter, solange Spanien beim Haus Österreich geblieben ist. Erst die Bourbonen, Philipp V. und dann Königin Christine, haben Aragon und Katalonien überhaupt dem Madrider Zentralismus vollends ausgeliefert. Der Versuch Karls VII., das Staatsrecht der Katalanen zu restaurieren, blieb erfolglos; das republikanische autonome Statut führte zu nichts gutem. Diese Fortsetzung der Geschichte wird von Maranön nicht erzählt; doch sie ist es. welche seinem Bericht die Bedeutung gibt. Selten hat ein Volk so viel aufs Spiel gesetzt wegen eines so unwürdigen Mannes! Doch wer vom Rechtsgefühl der traditionellen Ordnung etwas wissen will, der soll Perez' Geschichte gelesen haben.

An der Übersetzung mag man das eine und andere Haar finden — portugiesische und arabische Namen hätten nicht die spanische Orthographie behalten müssen —, doch im ganzen ist sie wohlgelungen.

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