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Der sehr hochVermögende Senor Don Chrislobal Colon.

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Niemand weiß bis heüte, wo und wann der rätselhafte Mann geboren wurde, der auf der Suche nach Indien Amerika entdeckte, in dessen Brust sich die widersprechendsten Eigenschaften vertrugen, der, Rationalist und Mystiker zugleich, schärfste Beobachtungsgabe, kindliche Selbsttäuschung, grenzenlosen Hochmut, tiefste Demut in sich vereinigte und — ein wahres Genie der Camouflage ihm unbequemer Tatsachen war. Im ganzen: Der Mann, der aus Ahnung und Sehnsucht, aus Vorstellungen und Träumen eine Realität von weltbewegendem Ausmaß geschaffen hat. Zweifellos hatte er viel, sehr viel zu berichten — aber auch viel zu verbergen —, vor allem, wie es scheint, seine Abkunft. Die Nebel, in die sich sein Ursprung hüllt — der Ursprung eines Mannes, der zu märchenhafter Geltung aufstieg —, die Mythen, mit denen die Kolumbus-Forschung heute noch kämpft, sind von ihm und seinem Sohn ausgegangen, verbreitet und verdichtet worden. Geschah das nur, um den Vizekönig und Großadmiral der spanischen Majestäten in den Nimbus altadeliger Abkunft zu hüllen? Also aus einer Mischung von Geltungstrieb, Nützlichkeitssinn und Romantik, die dem historischen Cristöbal Colon wohl zuzu trauen wäre? Dieses Rätsel zu ergründen, hat sich ein so scharfsichtiger Denker wie Salvador de Madariaga , zur Aufgabe gestellt. Es ist leider unmöglich, hier die ganze verwirrende Vielfalt der halben Angaben, der notwendigen Interpolierungen und Deutungen, auch der Legenden im einzelnen auszubreiten, von denen aus Madariaga an seine Aufgabe herantreten mußte.

Am Anfang steht der Mythos, und so erwähnt Colons Vertrauter Frater Bar- tolomė de las Casas die Sage, sein Freund stamme von jenem Colon ab, von dem Tacitus berichtet, er sei es gewesen, der Mithridates als Gefangenen nach Rom geführt habe. Man trug sich eben damals „antik“, es war modern, sich altrömischer Vorfahren zu rühmen. Aber wenn, wie Las Casas weiter angibt, Colon Genuese war, warum sprach und schrieb er nie Italienisch, nicht einmal seinen Landsleuten gegenüber? Ja,, es ist kein italienisches Wort“ aus seiner Feder bekannt! Weshalb wieder sprach er das Kastilische mit portugiesischem Akzent? Weshalb macht er, wenn er lateinisch schreibt, Fehler, die für den Spanier typisch sind? Wann hatte er Lateinisch und Kosmo- graphie gelernt, wenn er seit frühester Jugend auf den Meeren fuhr? Warum verkehrte der gläubige Christ, der jedem Brief oder Schriftstück die Worte voransetzte „Jesus ciim Maria sit nobis in via“, in dieser Zeit glühendster religiöser und nationaler Verfolgungen und Gegensätzlichkeiten so gerne mit Juden und Mauren? War er ein Abenteurer, wie konnte er dann einen Brief vorweisen, in dem ihn der König von Portugal „unseren besonderen Freund“ nannte? Bernaldez, der

1 „Christoph Columbus’ von Salvador de Madariaga, Deutsche Verlangsanstalt, Stuttgart, 544 Seiten.•

offizielle Regierungschronist dieser Zeit, berichtet, Col6n, bei dem er im Hause wohnte, sei „ein Händler, der mit gedruckten Büchern handelt“. Wie konnte dieser Mann für künftige Entdeckungen, die auf schon damals erwiesenen falschen Voraussetzungen fußten, Würden verlangen und zugesprochen erhalten, die ihn in die allererste Reihe der Großen des Reiches stellten?

Vor allem: seine Abkunft! Aus den Urkunden, die vorliegen, ergibt sich mit angemessener Schlüssigkeit, daß Christo- foro Colombo, der „sehr hochmögende Senor Don Cristobal Colon“, wie er sich selbst bezeichnete, Sohn des Webers und zeitweiligen Turmwächters Domenico Colombo war, der in Genua, auch Savona, lebte. Der Entdecker Amerikas hat sich in Urkunden selbst nie als Genuese, dagegen oft als Ausländer bezeichnet. Aber in Kastilien galt auch ein Aragonese oder Katalane als Ausländer — in dem Maße, daß Königin Isabella, deren Gemahl doch König von Aragon war, gegen die Ernennung des Aragonesen Don Rodrigo de Borgia — des späteren Papstes Alexander VI. — zum Erzbischof von Sevilla Einwendung erhob, da dieser „Ausländer“ sei. Bezüglich der urkundlich vorhandenen Jahreszahlen nun ergeben sich zahlreiche Widerspruchspunkte mit Colons eigenen Angaben. Zu allem Überfluß gab es damals einen fianzösischen Admiral und Korsaren Guilleaume de Casenove-Coullon, der in Italien als Colombo, in Spanien als Colon bekannt war und den Genuesen eine Seeschlacht lieferte. Es ist urkundlich erwiesen, daß Cristoforo Colombo, der Genuese, in dieser Schlacht gegen die Genuesen gefochten hat! Rätsel über Rätsel! Und nun bringt ftladariaga für sie folgende Lösung: „Die Colombo waren spanische Juden, die in Genua ansässig geworden waren.“ Sie hatten an der Sprache ihres Mutterlandes festgehalten, an dem immer noch ihr Herz hing.

Folgen wir nun Madariagas Beweisführung in großen Zügen: Colön-Colombo wuchs in Genua zweisprachig heran. Er bediente sich des genuesischen Dialekts in volkstümlicher Ausprägung und schrieb ein in seiner Familie überliefertes, etwas veraltetes Schriftkastilisch. Nicht das Kastilische des 15., sondern jenes des 14. Jahrhunderts, wie es etwa um 1390 nach Genua verpflanzt worden war.

Aus seiner bescheidenen Abstammung selbst hat Colön nie ein Hehl gemacht. Er schreibt in einem Brief von dem Königspaar, „das ihn vom Nichts zu solcher Ehre emporgehoben habe“, und „Sie erhoben mich in adligen Stand, so daß ich mich fortan ,Don’ nennen darf…“ Er war in dieser Hinsicht mitteilsamer als bezüglich seiner Abstammung aus Genua, und Las Casas ist dies gleich ihm. Colon nun wurde in Portugal — seinem ersten iberischen Aufenthaltsland — Portugiese, in Kastilien Kastilier. Wohl sagt der zeitgenössische Garcia Fernandez, der Admiral habe „den Eindruck eines Menschen gemacht, der aus einem anderen Lande gekommen sei“; und Las Casas: „er scheint als Muttersprache eine andere Sprache zu sprechen, denn er dringt nicht ganz in die richtige Bedeutung der kastilianischen Sprache ein und beherrscht auch ihre Sprechweise nicht vollständig.“ Aber Madariaga erklärt dies durch den Einfluß einer fast hundertjährigen ausländischen Umwelt auf rfie Familie. Geheimnisvolle Andeutungwp scheinen ihm aus den Stellen zu sprechen, die Las Casas der christlichen Gesinnung Colöns widmet, wie: „…er war zweifellos ein Katholik und von großer Frömmigkeit — oder „ … als guter Christ, der er gewißlich war“ … Soll man dabei an Marc Antons Leichenrede denken: „und ist g e w i ß ein ehrenwerter Mann“? Ist diese beiläufige Bekräftigung einer Einschränkung, einem Zweifel gleichzusetzen? Wie steht es andererseits um die Wandlung des Namens von Colombo zu Colön?

Cristöbal Colöns Sohn, Fernando, macht dazu folgende höchst bemerkenswerte Aussage:

Um sich seinem Heimatland anzupassen, in dem er nun leben und eine neue Stellung erreichen wollte, feilte der Admiral einiges von seinem Namen ab. Er sollte wieder mit dem alten Namen übereinstimmen und zugleich seine eigenen Nachkommen unterscheiden von den übrigen Verwandten der Seitenlinie. Deshalb nannte er sich Colon. Wenn ich dies genau erwäge, so muß ich annehmen, daß in dieser wie in der Mehrzahl seiner privaten Dinge irgendein Geheimnis verborgen lag. In der Veränderung und der darbei zugleich erhaltenen Ähnlichkeit von Nachnamen und Vornamen muß auch ein solches Geheimnis beschlossen liegen.’

„Ein Geheimnis kann kaum durchsichtiger sein“, urteilt hiezu Madariaga. „Colön, so sagt sein Sohn, kam zurück in sein Heimatland, als er nach Spanien kam, und nahm hier wieder den Namen Colön an, damit die Übereinstimmung mit dem alten Familiennamen wiederhergestellt sei.“ Warum war eine solche Namensänderung überhaupt notwendig? Was hätte denn ein Colombo, der ein echter Genuese war, mit seinem Namen gemacht, wenn er in spanische Dienste getreten wäre, fragt Madariaga und antwortet darauf: „Gar nichts.“ Denn in Spanien gibt es Tausende von Leuten, die ähnlich klingende Namen tragen, die Klangfolge paßt ausgezeichnet in die kastilische Sprache. Und Spanien war damals voll von Italienern, insbesondere von Genuesen, die alle ihre Namen unverändert beibehielten.

Las Casas erzählt, daß Colöns Eltern vor Zeiten reich gewesen waren — fügt allerdings hinzu, sie seien durch Kriege und Parteienkämpfe in der L o m b a r- d e i verarmt. Nimmt man dazu, daß der Admiral nach den Berichten der Zeitgenossen eine hochgewachsene, achtunggebietende, beherrschende Persönlichkeit war, so ergibt sich daraus eine Herkunft aus weit höherem Stand, als ihn die Familie Cristöbal Colöns zu dessen Jugendzeit besaß. Den Abstieg deutet Madariaga als die Folge der erzwungenen Abwanderung aus Spanien, wo die Sephardim ja vordem höchst einflußreiche Stellungen bekleidet hatten. Es sei hier auch noch erwähnt, daß die aktiven Mitglieder des damals berühmten Zentrums für Kosmographie auf der zu Katalonien gehörenden Insel Mallorka in der Mehrzahl Juden waren. Was Fernando Colön das „Feilen am Wort“ nennt, betrachtet Madariaga als eine Veränderung an dem durch eine angefügte Schlußsilbe italianisierten Stammnamen: „Colombo“, gekürzt um diese Schlußsilbe, ergibt „Colom“ — vom Admiral „umgefeilt“ in „Colön“. Und „Colom“ — wie zeitgenössische spanische Schriftsteller den Admiral mehrfach nennen, ist ein für katalanische Juden charakteristischer Name, der sich heute noch in dieser Landschaft häufig findet und für den, auf die Tage Cristöbal Colöns bezogen, Madariaga eine Reihe von Beispielen nennt. Das Wappen, das der Admiral vor seiner Nobilitierung führte und das er in das neu verliehene einbeziehen durfte, kommt in Katalonien mehrfach vor. Und schließlich: der tiefere, geheimnisvolle, von Fernando Colön angedeutete Sinn des „ Feilens “: Colom-bo, der von einer neu zu gewinnenden Welt träumte, wandelte seinen Namen in Colön: der Besiedler.

Madariaga schließt das Kapitel, dessen letzte Seite mit dem Titel überschrieben

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