Rückblick im Schmerz

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Erica Fischer sichert in "Himmelstraße" Spuren ihrer jüdischen Familiengeschichte.

Der Schmerz sticht zu wie ein Messer, ein Korsett umklammert Nacken und rechte Schulter. Ich kann den Kopf nicht mehr drehen. Zurückschauen ist aussichtslos. Sogar das Atmen tut weh." Schon diese ersten Zeilen von "Himmelstraße" verdeutlichen, dass man es beim neuen Buch der erfolgreichen Schriftstellerin, Journalistin, Übersetzerin und streitbaren Feministin Erica Fischer nicht mit versöhnlichen Erinnerungen zu tun hat.

Der Schmerz bestimmt ihren Rückblick auf die "Geschichte meiner Familie", die drei Generationen umfasst und vieles zugleich ist: Autobiografie, Erinnerungsliteratur und Roman. Geschrieben aus der Perspektive einer "Davongekommenen" hegt die Erzählerin an ihrem Davonkommen größte Zweifel, und gerade das macht das Buch ebenso spannend wie verstörend.

Spannend und verstörend

Die Tochter lebt in Berlin, die Mutter ist gerade drei Wochen tot, als sie von ihrer Cousine erfährt, dass der Bruder in Wien verschwunden ist und möglicherweise den Selbstmord, vor dem er Jahre zuvor gerettet wurde, erfolgreich durchgeführt hat. Es dauert eineinhalb Jahre, bis Gewissheit über den Erfrierungstod des Bruders besteht - da befindet sich die Erzählerin gerade in Los Angeles.

Geboren als Tochter einer kommunistischen Jüdin polnischer Herkunft und eines sozialistischen Wieners in England, die sich in der Emigration ein neues Leben erträumten, erlebte die fünfjährige Erica Fischer die Brutalität der vom Vater gewollten Rückkehr nach Wien, die auch die Ehe der Eltern entzweite. Während sich der Vater wieder integrieren konnte, blieb die jüdische Mutter fremd und damit auch ihre beiden Kinder, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die Tochter floh aus Wien und der ebenso kluge wie lebensuntüchtige und erwerbslose Bruder lebte bis zum Tod der Mutter mit ihr. Zwischen bedingungsloser Identifikation mit der jüdischen Geschichte und Flucht bis zur späten Annahme des historischen Erbes spannt sich das Leben der Geschwister.

Wenig Verständnis

Im Rückblick kann die Tochter ebenso wenig Verständnis für den Entschluss des Vaters zur Rückkehr finden wie für das Verhalten der Mutter, die eigentlich eine widerständige und emanzipierte Frau war. Doch auch die Mutter kann den Absprung der Tochter nicht akzeptieren und so ist es nicht verwunderlich, dass die Tochter im Testament der Mutter nicht einmal erwähnt wird.

Erica Fischer sichert in "Himmelstraße" Spuren ihrer jüdischen Familiengeschichte und der behutsamen Annäherung an dieses Erbe. So berührt besonders der Bericht über ihren Besuch von Treblinka, in dem die mütterlichen bürgerlichen Großeltern ermordet wurden. Gleichzeitig ist "Himmelstraße" eine schonungslose und pessimistische Abrechnung einer Nachgeborenen. Doch so liebesunfähig, körperfeindlich und altersängstlich wünscht man sich das Überleben nicht.

Himmelstraße

Geschichte meiner Familie

Von Erica Fischer

Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2007

251 Seiten, geb., € 20,50

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