Schmerzvolle Abrechnung

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Geschichte der Enttäuschung: Erica Fischer verabschiedet in „Mein Erzengel“ eine große Liebe.

Ruth, eine attraktive Wiener Schmuckdesignerin, Feministin der ersten Stunde mit jüdischer Familiengeschichte, übt sich nach einer gescheiterten Kandidatur bei den Grünen, die ihre politischen Ambitionen beendet hat, gerade in der Freiheit der Lust ohne Liebe mit wechselnden Liebhabern. Doch in einen ihrer per Anzeige gesuchten Liebhaber verliebt sie sich sofort. Im Rückblick erscheint ihr der Anfang „wie ein Märchen“. Wir ahnen es, auch dieses Märchen endet schrecklich.

Bei dem Niederländer Michaël fühlt sich Ruth aufgehoben wie nie zuvor. Der sensible, zwölf Jahre jüngere Mann verwöhnt sie, ordnet sich ihr unter. So fällt es ihr nicht schwer, Wien und ihre Freunde zu verlassen und gemeinsam mit ihm nach Amsterdam zu ziehen, ihre Ehe mit ihm „war eine einzige Idylle“. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer, die Entfremdung wird immer größer, je mehr sich Michaël als Flüchtlingshelfer im Bosnienkrieg engagiert.

Er setzt all seine Energie dafür ein, bedrohte Menschen aus dem Krisengebiet herauszuholen und in holländischen Familien unterzubringen. Er kämpft für seine Mission wie der Erzengel Michael, der Bezwinger Satans, und als solcher erscheint er den Flüchtlingen.

Sein hoher persönlicher Einsatz ist aber für ihn auch eine Flucht vor seiner eigenen Vergangenheit, von der Ruth nichts ahnt und von der er nicht spricht. Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit führen zum Ende der Beziehung, Ruth reicht die Scheidung ein, kehrt nach Wien zurück.

Sie kommt trotz einiger Therapien nicht los von diesem Mann und erfährt Jahre nach dem Ende ihrer großen Liebe, dass er sein Vorleben verschwiegen hat. Der Menschenretter war schon einmal in der österreichischen Provinz verheiratet mit einer Frau, die sich seinetwegen das Leben genommen hat, er ist Vater eines behinderten Sohnes, auch eine zweite Frau kommt nur mit knapper Not davon.

Privates und Politisches

Der Stoff des Romans verspricht Spannung, viele Details der Biografie ihrer Heldin verweisen auf die eigene Lebensgeschichte Erica Fischers, die zuletzt auf gänzlich unversöhnliche Weise in „Himmelstraße“ Spuren ihrer jüdischen Familiengeschichte gesichert hat, die bestimmt war von der Erfahrung des Schmerzes und der Fremdheit im Nachkriegsösterreich.

Ebenso große Wut und Verzweiflung vermitteln sich in „Mein Erzengel“ in der Aufarbeitung einer Liebesgeschichte, die zeigt, wie sehr Privates und Politisches zusammenhängen. Erika Fischer protokolliert die Geschichte einer Enttäuschung aus der Perspektive der Protagonistin, die am Ende heimlich ihren Ex-Mann mit Frau und Kind vor seinem Haus beobachtet.

Erika Fischer ist zwar kein großer Roman gelungen, sie ist keine große Stilistin und Sprachkünstlerin, aber sie ist eine präzise Analytikerin. Gelungen ist ihr eine ebenso erschreckende wie pessimistische Abrechnung mit den Idealen einer „Davongekommenen“, die unter die Haut geht.

Mein Erzengel

Roman von Erica Fischer

Rowohlt Berlin 2010

249 S., geb.,

€ 20,60

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