Sie wollen Blut sehen

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Der Roman "Jesus von Texas" erzählt die Geschichte eines Sündenbocks. Der Autor DBC Pierre erhielt dafür den Booker-Preis.

Mit Jesus ist zur Zeit gut Geschäft machen. Auch dieser Titel wird daher auffallen. "Jesus von Texas" führt aber in die Irre. Und auch wieder nicht. Denn um einen unschuldig Geopferten geht es doch. Und Anspielungen auf Jesu' Leidensweg, Kreuzigung und Auferstehung finden sich auch.

Der fünfzehnjährige Schüler Jesus Navarro hat aus heiterem Himmel sechzehn Mitschüler erschossen und danach sich selbst. Soweit die Vorgeschichte dessen, was dann auf 382 Seiten erzählt wird. Hauptperson und Ich-Erzähler ist sein Freund Vernon Little, der nun nach Jesus' Tat und Tod verdächtigt wird, Mittäter gewesen zu sein. Dabei weiß er selbst nicht, was in Jesus gefahren ist. "Er ist seltsam geworden, und keiner weiß, warum."

Vernon glaubt an die Kraft der Wahrheit, an der außer ihm niemand interessiert ist, und ruft am Ende dafür seinen einzigen Zeugen auf, der ihm erst recht einen Strick dreht. Dabei ist Vernon Little bei aller Naivität durchaus schlau: "Sie brauchen einen Sündenbock, sie wollen Blut sehen."

Die Story würzt der Slang, in dem der Roman - passend ins Deutsche übersetzt - geschrieben ist. Hier quatscht sich ein Jugendlicher die ganze Scheiße, in der er sitzt, von der Seele. Man gewöhnt sich an die Sprache und die Beobachtungsgabe ist streckenweise sehr unterhaltsam. Mit Formulierungen wie: "Das Stadtzentrum schmückt sich mit dem ganzen Geld und der Bereitschaft der Leute, Sachen in Schuß zu halten; die Reste davon werden in einer versickernden Welle nach außen gespült", finden sich treffende Bilder für diese ölpumpengeprägte, texanische Kleinstadt Martirio (auch dieser Name spricht für sich), in der Essen der einzige Trost ist. Vor allem der erste Teil des Romans vergnügt und unterhält, trotz des ernsten Themas.

Beeindruckend beginnt der Autor mit der Schilderung, ja Analyse dieses unschuldig in die Fänge diverser Interessen geratenen Jungen, der Sehnsucht und Wissen aus gesehenen Filmen speist. Der Autor lässt bei der Darstellung dieser Hetzjagd, die bis nach Mexiko führen wird, weder die Vermarktung durchs private Fernsehen aus, noch das Darmproblem von Vernon, das auch der Grund dafür ist, warum er sein Alibi so lange verschweigt. Vernon leidet zudem unter der Dominanz der Frauen seiner Familie: der Mutter, die es meisterhaft versteht, in seinen Wunden zu wühlen, der Tante, deren Leben aus Fressen besteht. Themen, in denen der Autor seinerseits mit Behagen zu wühlen scheint.

Die Stärke des Buches liegt vor allem im Anfang, von Kapitel zu Kapitel werden die Ereignisse immer bizarrer und man hat eigentlich schon genug gelesen. Doch der Zynismus nimmt noch zu und warnt, wenn am Ende etwa Zuschauer im Internet live Todeskandidaten in ihrer Zelle beobachten und darüber abstimmen können, wer als nächster sterben soll. Schließlich zeigt sich, was zu vermuten war: auch Jesus, der mehrfache Mörder, war selbst ein Opfer. Die wundersame Begnadigung Vernons am Ende - "Alles ist wieder normal..." - ist aber nur auf den ersten Blick ein Happy End.

Nicht sehr "normal" ist das bisherige Leben des Autors Peter Warren Finlay, der sich DBC Pierre nennt (DBC steht für dirty but clean) und für diesen Roman den Booker-Preis erhielt. Der Verlag zitiert aus dem Guardian: "In seinen 42 Lebensjahren hat er es geschafft, von seinem Nachbarn in Mexiko-Stadt angeschossen zu werden, Schulden in Höhe von mehreren hunderttausend Dollar anzuhäufen, drogen- und spielsüchtig zu werden und eine Reihe Frauen zu hintergehen." Nun lebt Finlay in Irland und die 50.000 Pfund Booker-Preisgeld helfen ihm vermutlich, einen Teil seiner Schulden zu begleichen, weitere Bücher zu schreiben - und normal zu werden.

Jesus von Texas

Roman von DBC Pierre. Aus dem Engl. von Karsten Kredel.

Aufbau Berlin Verlag, Berlin 2004.

383 Seiten, geb., e 20,50

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